Alexander Keim z..Zt. Wiggensbach über Kempten, 21.1.56
Schmidsreute
(sonst Haselbach bei Lorch)


Frankfurter Illustrierte
Frankfurt (Main), Gutenbergstraße 7


Sehr verehrte Redaktion!

Ich danke für ihre Antwort vom 10.9.55. Ich bedaure, dass

sich meine Sache nicht in den Charakter Ihrer Zeit-

schrift einbauen läßt. Vielleicht wende ich mich doch

noch an den Spiegel, den ich nur aus Pressenotizen kenne.

Einiges muss ich Ihnen noch mitteilen. 1932 war Herr

von Papen Reichskanzler. Im Hintergrund stand Herr

Schleicher, vom Offizierkorps als Bismarck II angesehen.

- ich war von 1923 bis 1935 Reichswehrsoldat und beob-

achtete einiges. Mir selbst kam ich 1933 fremd vor,

als plötzlich aus uns Noske-Bluthunden "unsere Hundert

tausend wurden“--

Nun, 1934 legte Hitler, dieses Nichts nach Picard's

Buch "Hitler in uns", Schleicher um. Seine Kameraden,

die Reichswehroffiziere leisteten trotzdem auf Hitler

den Fahneneid, obwohl Hitler es jedem frei stellte, sich

vorher mit vollen Ehren in den Ruhestand zu setzen.

Obwohl die Offiziere wissen mußten, daß Hitler in seinen

"Kampf" von Beamtenhuren sprach. Soweit ich mich erinnere,

nahm keiner den Abschied, sondern jeder beteiligte sich

am Wettrennen um Goldlaub und Marschallsstab.

ich hätte damals den Eindruck, die Offiziere sagten

Vaterland, meinten aber gesellschaftliche Vorrangstellung

und hohe Pension,

Friedrich II schrieb einmal auf den Rand eines Gesuches:

Die über Nacht sich umgestellt,

die sich zu jedem Start bekennen.

Das sind die Praktiker der Welt,

man könnte sie auch .„.. Lumpen ... nennen.

Und diesen Spruch las ich ausgerechnet, schön eingerahmt,

im Treppenhaus eines Offiziers!

ich war noch nie Praktiker und habe es auch 1945 nicht

gelernt.

Gewiss müssen Sie bedacht sein auf den Charakter Ihrer

Zeitschrift. Vielleicht wollen Sie einen bestimmten

Leserkreis nicht zu nahe treten, weil sie ihm nahe sein

wollen. Aber wie vereinbart dies sich mit der vornehn-

sten Aufgabe der Fresse: Der Wahrheit dienen.

Mit Vorliebe bringen Sie Vorgänge, die längst geschehen

sind. Wem nützt dies: Sie reizen doch bloß die Nerven

ihrer Leser, die gerne gekitzelt sein wollen,

Vielleicht locken sie diesem und jenem ein Augurenlächeln

ab.

Nun erst verstehe ich Shakespeare, wenn er seinem

Lanzelot sagen läßt: Währheit drängt ans Licht, seinem

Hamlet aber in den Mund’ legt: Wahr ist nicht, was ist,

sondern was scheint.

Sie kommen in den Verdacht, auch den Schein wahren zu

wollen. Haben die führenden Schichten jemals mit ihrem

Streben den Schein zu wahren, erreicht, daß Revolutionen,

Krieg und Chaos verhindert wurden? Wer Lug und Trug

duldet oder verheimlicht, betrügt sich selbst. Und

wenn er selbst nicht zur Rechenschaft gezogen wird,

so zahlen seine, Kinder oder Enkel mit Zinseszins.

Verzeihen Sie meine offenen Worte. Ich glaube, sie

sind mindestens des Nachdenkens wert.

Hochachtungsvoll!

Alexander Keim


[Alexander hat das Wort]