Zugang zu Informationen der Behörden ist ein fundamentales Menschenrecht, das auf nationaler Ebene durch eine umfassende Gesetzgebung gewährleistet sein muss, die auf dem Prinzip der größtmöglichen Offenlegung basiert".
UN, OSZE und OAS Sonderbeauftragte für den Schutz der Meinungsfreiheit 2004


Englishin English on same subject: http://wkeim.bplaced.net/files/ifg-5-laender-en.htm

Walter Keim, Email: walter.keim@gmail.com
Torshaugv. 2 C
N-7020 Trondheim, den 10.10.2012 (Menschenrechtstag)

An den Petitionsausschuss des
Landtages von Baden-Württemberg
Haus des Landtages
Konrad Adenauer Str. 3
D-70173 Stuttgart

Kopie: Innenminister Gall, Ministerpräsident Kretschmann

Petition 15/2078: Dem Aufstand der Amtsschimmel mutig begegnen, eigenes IFG vorschlagen und verabschieden

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Bürger haben aufgrund fehlender Informationen arge Probleme damit, die Organisationsstruktur und die Entscheidungen von Behörden und politischen Stellen nachzuvollziehen. Im derzeit gültigen Koalitionsvertrag von Baden-Württemberg kündigte Rot-Grün an, allen einen freien Zugang „zu den bei den öffentlichen Verwaltungen vorhandenen Informationen“ zu verschaffen.

Nach gewonnener Wahl im Frühjahr 2011 sollten die Bürger Baden-Württembergs „schon bald umfassenden Einblick in Verwaltungsvorgänge“ bekommen. Ein Gesetzentwurf für das Jahr 2011 angekündigt worden (10). Grüne und SPD wollten das im Koalitionsvertrag vorgesehene Informationsfreiheitsgesetz (IFG) „rasch“ auf den Weg bringen. Erst sollte die "Evaluation des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes abgewartet werden, die am 22.5.2012 abgeschlossen wurde. Danach wurde ein Entwurf für Ende 2012 angekündigt.

Nun soll der Gesetzentwurf nach aktueller Mitteilung im Juni 2013 (!), also zwei Jahre nach den vollmundigen Ankündigungen, „aller Voraussicht nach“ vorgelegt werden. Und der Stand der Angelegenheit? Dazu erfährt man nichts. „Haben Sie bitte Verständnis, dass wir Ihnen über Einzelheiten vorab keine Auskünfte erteilen“, erfährt man aus der grünen Landtagsfraktion (Anlage A).

Beginnt hier, was im Bund in den Jahren 1998 bis 2004 auch geschah?: Trotz Koalitionsvertrag erarbeitete die Ministerialbürokratie keinen Gesetzentwurf, der in den Bundestag eingebracht wurde. Die "Zeit" nannte das den "Aufstand der Amtsschimmel" (Anlage B).
Die Lösung dieses Problems war, dass die Parlamentsfraktionen der regierenden Koalitionsparteien ihren eigenen Gesetzesentwurf erarbeiteten und verabschiedeten. Das gleiche geschah in den Bundesländern Schleswig-Holstein, Berlin, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Thüringen.

Deshalb müssen die Parlamentsfraktionen in Baden-Württemberg das selber in die Hand nehmen, um dieses in der Demokratie essentielles Menschenrecht (Quelle 1) zu verwirklichen.

Verwaltungen in aller Welt wollen sich nicht gerne in die Karten schauen lassen und versuchen deshalb die allgemeine Akteneinsicht zu erschweren. Dabei beziehe ich mich auch auf mehr als 240 Jahre Erfahrung mit der Informationsfreiheit in Schweden. Trotzdem hat die schwedische Verwaltung ihren Widerstand nicht aufgegeben. Das schwedische Parlament kommt zum Ergebnis, dass man streng sein muss: "Doch die Vorschriften sind so deutlich abgefasst, die Einsichtnahme des Ombudsmannes des Reichstags so streng und die Tradition so alt, dass diesem Widerstand im Ernstfall nicht nachgegeben wird". Deshalb muss die schwedische Verwaltung Aktenpläne mit allen Dokumenten herausgegeben, die kostenlose Antwort mit den gewünschten Dokumenten sollte innerhalb 24 Stunden gegeben werden (Quelle 9).

Mehr als 120 Staaten (https://www.rti-rating.org/country-data/) mit mehr als 5,9 Milliarden Einwohnern d. h. 84 % der Weltbevölkerung haben entweder Informationsfreiheitsgesetze oder entsprechende Verfassungsbestimmungen. Das Menschenrecht des Informationszugangs wird international als Voraussetzung einer Demokratie anerkannt. In Europa fehlt im Wesentlichen nur Weißrussland und 5 Bundesländer. In der Welt fehlen hauptsächlich Staaten in Afrika und dem Nahen Osten. Die meisten Bewohner von Bananenrepubliken haben solche Rechte.

Schweden hat als erster skandinavischer Staat vor mehr als 240 Jahren den Informationszugang "erfunden". Folgende Bestimmungen sorgen in Skandinavien für rasche kostenlose Akteneinsicht innerhalb von Tagen:

Internationale Normen der maximalen Offenheit, rascher Antworten und niedriger Kosten werden mit dem IFG des Bundes so verwirklicht, dass 88 Staaten mit ca. 5,5 Milliarden d. h. 78 % der Bürger auf der Welt haben ein besseres Informationsfreiheitsgesetz als deutsche Bürger im Bund (http://www.rti-rating.org/country-data/). Nur Liechtenstein, Österreich, Griechenland und Tadschikistan haben schlechtere Informationsfreiheitsgesetze.

Die OSZE hat im April 2012 in ihren Kommentaren zum Entwurf eines Transparenz- und Informationszugangsgesetzes in Spanien den Menschenrechtscharakter des Informationszugangs dokumentiert, mit Hinweis auf OSZE, Zivilpakt und EGMR (siehe Quelle 1: "International documents (...) state that access to information is a fundamental human right and an essential condition for all democratic societies.").

Der Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung ist ein Menschenrecht gemäß Zivilpakt [Quelle 2, 5, 6] und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [Quelle 7] aufgrund der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EKMR) [Quelle 3], wird international als Voraussetzung für die Demokratie angesehen und ist wichtig im Kampf gegen Korruption.

Die drei Sonderbeauftragten von UN, OSZE und AOS für den Schutz der Meinungsfreiheit bestätigen in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 6.12.2004, dass die Informationsfreiheit ein Menschenrecht ist: [Quelle 4]:

„Zugang zu Informationen der Behörden ist ein fundamentales Menschenrecht, das auf nationaler Ebene durch eine umfassende Gesetzgebung gewährleistet sein muss, die auf dem Prinzip der größtmöglichen Offenlegung basiert."
Ich schlage vor dem Aufstand der Amtsschimmel mutig zu begegnen und ein eigenes IFG einbringen und verabschieden.

Der Vorschlag eines Bürgerinformationsgesetzes der Zivilgesellschaft ist ein "Akt zivilgesellschaftlicher Notwehr" (Anlage D) ist sehr gut geeignet das zu verwirklichen. Suttgart21leaks.tk dokumentiert, dass Offenheit und Transparenz bei Stuttgart 21 gefehlt hat.

Auch in Hamburg hat das Bündnis "Transparenz schafft Vertrauen" eine Volksinitiative auf den Weg gebracht, die von der Bürgerschaft weitgehend übernommen wurde ein sehr fortschrittliches Transparenzgesetz mit proaktiven Veröffentlichungen durchgesetzte (Anlage E).

Mit Abgeordnetenwatch Baden-Württemberg wurde Innenminister Gall am 12.12.2011 vorgeschlagen internationale Standards beim Ausarbeiten des IFG zugrunde zu legen. Da Innenminister Gall nicht antwortete wurden im November 2012 die Fraktionsvorsitzenden der CDU, FDP, Grüne und SPD befragt. Die FDP antwortete Ende Januar einen Gesetzentwurf für ein IFG vorzulegen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen "geh(t) fest davon aus, dass das Innenministerium die Zusage einhalten wird, Mitte 2013 einen dem Koalitionsvertrag entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen."

Es liegt in Ihrer Hand meine sehr geehrten Damen und Herren Volksvertreter das Menschenrecht des Informationszugangs zu verwirklichen: Sie haben in der Demokratie die Macht nicht die Amtsschimmel, die das dauernd hinausschieben und nicht hin bekommen wollen.

Mit freundlichen Grüßen

--
Walter Keim
Netizen: http://walter.keim.googlepages.com
UN Universal Periodic Review (UPR): http://wkeim.bplaced.net/files/foi-upr-de.htm
Will OSCE Support the Human Right of Access to Information in Germany by Commenting ATI Laws: http://t.co/GmQy9V0U


Kopie: Fraktionen im Landtag Baden-Württemberg, Landespressekonferenz, Deutscher Journalisten-Verband (DJV), Abgeordnetenwatch Baden-Württemberg: CDU, Innenminister, FDP, Grüne, MdB Sckerl und SPD.

Quellen:
  1. OSZE, April 2012: COMMENTS ON THE DRAFT LAW ON TRANSPARENCY, ACCESS TO INFORMATION AND GOOD GOVERNANCE OF SPAIN: http://www.osce.org/fom/89577
  2. Zugang zu amtlichen Dokumenten ist ein Menschenrecht der VN: https://www.right2info.org/international-standards#section-1
  3. Zugang zu amtlichen Dokumenten in Europäischer Konvention für Menschenrechte: https://www.right2info.org/international-standards#section-5
  4. Gemeinsame Erklärung 2004 der drei Sonderbeauftragten von UN, OSZE und AOS für den Schutz der Meinungsfreiheit: http://merlin.obs.coe.int/iris/2005/2/article1
  5. "General Comment No. 34 on Article 19 of the ICCPR" (Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte, Zivilpakt): http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/comments.htm (Deutsch: http://merlin.obs.coe.int/iris/2011/10/article1)
  6. Klagen bei den VN gegen Staaten, die gegen das Menschenrecht des Zugangs zu amtlichen Dokumenten verstoßen: http://right2info.org/cases#section-6
  7. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte: http://right2info.org/cases#section-2
  8. 2011 Norwegen: 3 385 Anfragen pro 100.000 Einwohner pro Jahr: http://wkeim.bplaced.net/files/Norway_number_of_requests.html
  9. Monica Broschard: Deutschlands Weg zur Informationsfreiheit – Entwicklungsgeschichte, Akteursinteressen und Hindernisse auf Bundes- und Länderebene. Magisterarbeit. Universität Koblenz 2003: ftp://ftp.zew.de/mbr/ma2003c-hauptband_zew.pdf
    Anhang 5: Exkurs in die schwedische Verwaltungspraxis in Monica Broschard: Deutschlands Weg zur Informationsfreiheit – Entwicklungsgeschichte, Akteursinteressen und Hindernisse auf Bundes- und Länderebene. Magisterarbeit. Universität Koblenz 2003
  10. MdL Sckerl kündigt 07.07.2011 an, dass noch 2011 ein Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht wird.

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Anlage: CDU/CSU regierte Bundesländer sind der Schandfleck bezüglich der Informationsfreiheit in Europa. Bild unten: Dunkelgrün: Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Hellgrün: Informationsfreiheit nur in Verfassung. Gelb: Gesetz in Vorbereitung. Access to Information Law = Informationsfreiheitsgesetz.

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