Die Welt kann nicht warten
Erklärung katholischer Kardinäle und Bischöfe zum G8-Gipfel 2007

In unserer Rubrik „Auf dem Weg nach Sibiu” beschäftigen wir uns aus aktuellem Anlaß mit dem G8-Gipfel. Gerade die Frage der Gerechtigkeit ist ja eine, die eben nicht im europäischen, sondern nur im weltweiten Kontext gelöst werden kann: Wie können wir so leben, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner der Erde überleben können? Eine Frage an die Politik, die Wirtschaft und an jede/n Einzelne/n von uns.
Eine Delegation von katholischen Kardinälen und Bischöfen aus vier Kontinenten hat jetzt1 die Regierungen der „Gruppe der Acht” im Hinblick auf den bevorstehenden Gipfel der G8-Staaten in Heiligendamm zu verantwortlichem Handeln aufgerufen. Wir dokumentieren diese Stimme aus der Ökumene in Auszügen²:
„Wir, katholische Kardinäle und Bischöfe aus Nord und Süd, sind nach Europa gekommen mit einem Appell an die Regierungen der "Gruppe der Acht", ... die sich derzeit auf ihr alljährliches Gipfeltreffen vorbereiten. ...
Gemeinsam mit den Bischöfen in unseren Heimatregionen, den Gläubigen in unseren Gemeinden, den Millionen Männern, Frauen und Kindern unterschiedlicher Glaubensrichtungen und aller Altersstufen, sind wir zutiefst besorgt über unsere zunehmend gespaltene Welt. Enttäuscht vermissen wir den Fortschritt seitens der G8-Länder im Hinblick auf die Ziele, die sie sich selber vor zwei Jahren in Gleneagles gesetzt haben. Und uns beunruhigt, dass die G8-Staaten ihre Entwicklungshilfeversprechen nicht werden einhalten können, wenn sie nicht sofortige Korrekturmaßnahmen zu deren Umsetzung vornehmen. ...2003 mahnte Papst Johannes Paul II ...: „... So gesehen stellt die unterlassene Erfüllung der Verpflichtungen zugunsten der Entwicklungsländer ein ernstes moralisches Problem dar und rückt die Ungerechtigkeit der in der Welt bestehenden Ungleichheiten noch stärker ins Licht.”
...Als Kirchenführer glauben wir, dass „Gott die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt hat; darum müssen diese geschaffenen Güter in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen; dabei hat die Gerechtigkeit die Führung” ...
Aus dieser Perspektive stellen wir das vorherrschende Modell des Wirtschaftswachstums in Frage, das keine Rücksicht auf die allgemeinen Güter und das Wohlergehen der Menschen nimmt - denen es eigentlich dienen und zugute kommen sollte. Orientiert sich Wirtschaftswachstum nicht an wohl durchdachten, durch klar definierte ethische Werte geleiteten politischen Entscheidungen, werden wir eine zunehmend polarisierte Welt erleben, eine in "Globalisierungsgewinner" und "Globalisierungsverlierer" gespaltene Menschheit. ... Der Klimawandel führt uns nur allzu deutlich vor Augen, wie zerbrechlich unsere Umwelt, wie bedroht die Entwicklung und das menschliche Leben durch unkontrolliertes Wirtschaftswachstum ... tatsächlich sind.
...Die G8-Staaten haben zwar kein Mandat für eine globale Regierungsführung. Ihre Entscheidungen haben indes weit reichende Konsequenzen für das Leben von Millionen Menschen in anderen Teilen der Welt. Nehmen Sie Ihre Verantwortung ernst. Heute, einen Monat vor dem Treffen ... der G8 ... besteht insbesondere in folgenden Bereichen dringender Handlungsbedarf:

[1]          Die Erklärung wurde am 15. Mai 2007 in Rom veröffentlicht.
[2]          Der gesamte Text und die Liste der Verfasser findet sich bei: 
www.misereor.de

1. Entwicklungshilfe: Versprechen halten und neue Ressourcen erkunden
Auf lange Sicht sollten alle Länder imstande sein, mit ihren eigenen Mitteln auszukommen. Bis es jedoch so weit ist, bedarf es auf absehbare Zeit weiterhin externer Entwicklungshilfe für die Bekämpfung der Armut und den Ausgleich gravierender globaler Ungleichheiten. Unsere Forderungen lauten deshalb:
Die G8-Länder müssen ihre Versprechen zur Entwicklungsfinanzierung halten. ...Um die Entwicklungshilfe voraussagbar zu machen, sollten alle G8-Länder einen klaren Zeitplan für jährliche Steigerungen zum Erreichen der Quoten von 0,51 bis 2010 und 0,7 bis 2015 vorlegen.
Getreu dem Monterrey-Konsens sollten Schuldenerlasse nicht mit ODA-Leistungen verrechnet werden. ...
Tatsächlich darf die Schuldenfrage nicht mit der Entwicklungshilfe verknüpft werden.
Die G8-Länder müssen ferner Maßnahmen zur Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die Entwicklung einleiten... Sie sollten internationale Steuern ... einführen, um ... gleichzeitig für die verletzlichen Entwicklungsländer einen Ausgleich der durch globale Ungleichheiten entstehenden Schäden zu schaffen (z.B. Abgabe auf Flugtickets, Kerosin- und Devisentransaktionssteuer)...

2. Verantwortliche Kreditvergabe und -aufnahme für nachhaltige Entwicklung
... In vielen Ländern ist die Verschuldung ... noch lange nicht auf ein tragfähiges Niveau reduziert ... Um neue Schuldenfallen zu vermeiden...:
sollten die G8-Länder Leitlinien erlassen, um Kredite, die für die Entwicklung förderlich sind, abzugrenzen von solchen, die das nicht sind. Kreditgeber, die dagegen verstoßen, müssten bei nicht entwicklungsgebundenen Krediten Verluste hinnehmen. ...
Die G8-Länder müssen eine grundlegende Reform des internationalen Systems zur Bewältigung der Schuldenkrisen vorantreiben. Das bisherige System hat sich als untauglich zur Umsetzung nachhaltiger Lösungen und zur Vermeidung unverantwortlicher Kreditvergabe erwiesen. Die neuen Instrumente müssen auf Fairness und Transparenz und auf gemeinsamer Verantwortung von Gläubigern und Schuldnern aufbauen.

3. Gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung
Armut geht Hand in Hand mit schlechter Regierungsführung. Und schlechte Regierungsführung öffnet der Korruption Tür und Tor. Der missbräuchliche Umgang mit dem Vermögen eines Landes … erzeugt und verstärkt Armut - infolge von persönlichem Profitstreben oder von Unfähigkeit … Da Korruption kein lediglich nationales Problem, sondern international verwurzelt ist, muss sie auf beiden Ebenen bekämpft werden. Deshalb sollten:

die G8-Länder Maßnahmen zur Stärkung der Rechenschaftspflicht der Regierenden in Entwicklungsländern gegenüber ihren demokratischen Wählerschaften vorantreiben. Sie sollten Parlamente und Zivilgesellschaften von Entwicklungsländern systematisch in den politischen Dialog sowie in Bewertung des Regierungshandelns, Kreditaufnahmeverhandlungen und konsultative Gruppenveranstaltungen mit einbinden. ...
Die G8-Länder sollten … Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption seitens ihrer Bürger und der in ihrem Staatsgebiet ansässigen Unternehmen und Institutionen einleiten. Sie sollten Privat-personen und Betriebe verfolgen und bestrafen, die sich der Korruption in Entwicklungsländern schuldig machen. ...
Als Bürger wie als Kirchenführer sind wir uns bewusst, dass uns und unseren Regierungen ein Teil der Verantwortung zukommt. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die Förderung wahrer menschlicher Entwicklung und globaler Solidarität. Gleiches erwarten wir aber auch von denjenigen, die in den reichen Ländern die politische und wirtschaftliche Macht innehaben. …
Die Welt kann nicht warten.”

Quelle: http://www.misereor.de/presse/detailansicht-presse/article/erklaerung-der-katholischen-kardinaele-und-bischoefe-zum-bevorstehenden-g8-gipfel-2007.html