Europarat


 

Straßburg, 11. Juli 2007

CommDH (2007)14
Original: Englisch

BERICHT DES MENSCHENRECHTSKOMMISSARS THOMAS HAMMARBERG

ÜBER SEINEN BESUCH IN DEUTSCHLAND

9. – 11. und 15. – 20. Oktober 2006

Zur Vorlage beim Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Kurze Darstellung und Zweck des Besuchs
Hinweis zur Methode

1. Nationales System zum Schutz der Menschenrechte

1.1. Stand der internationalen Menschenrechtsübereinkünfte
1.2. Beschwerdegremien und Menschenrechtsstrukturen

1.2.1. Parlamentarische Petitionsausschüsse
1.2.2. Bundestags-Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
1.2.3. Beauftragte
1.2.4. Deutsches Institut für Menschenrechte

1.3. Justizsystem
1.4. Polizei
1.5. Zivilgesellschaft
1.6. Menschenrechtserziehung
1.7. Nationale Koordinierung von Menschenrechtsfragen

2. Verhinderung von Diskriminierung

2.1. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz

2.1.1. Rechtlicher Rahmen
2.1.2. Antidiskriminierungsstelle

2.2. Gleichbehandlung von Frauen und Männern

2.2.1. Gleiche Bezahlung für Arbeit mit gleichem Wert
2.2.2. Gewalt gegen Frauen

2.3. Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen

2.3.1. Beschäftigung
2.3.2. Bildung

3. Maßnahmen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

3.1. Allgemeine Maßnahmen
3.2. Rechtsvorschriften gegen rassistisch motivierte Straftaten
3.3. Datenerhebung zu Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Formen gruppengestützten Hasses
3.4. Opfer von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Formen gruppengestützten Hasses

4. Schutz nationaler Minderheiten

4.1. Persönlicher Anwendungsbereich
4.2. Pflichten der Bundes- und Länderbehörden
4.3. Erfassung von Daten zur Lage nationaler Minderheiten
4.4. Lage der Roma und Sinti
4.5. Lage der Sorben

5. Armut

5.1. Von Armut besonders betroffene Gruppen
5.2. Zugang zu Gesundheits- und Sozialdiensten für gesellschaftlich benachteiligte beziehungsweise anderweitig anfällige Bevölkerungsgruppen

6. Asyl und Einwanderung

6.1. Die Lage der Flüchtlinge und Asylsuchenden

6.1.1. Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
6.1.2. Aberkennung des Flüchtlingsstatus
6.1.3. Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) 36
6.1.4. Asylverfahren
6.1.5. Aufnahmebedingungen
6.1.6. Abschiebungshaft

6.2. Integration in Deutschland wohnhafter Ausländer und Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft
6.3. Die Lage von nicht registrierten Zuwanderern
6.4. Antworten auf den Menschenhandel

7. Antiterrormaßnahmen

7.1. Absolutes Verbot von Folter
7.2. Außerordentliche Überstellungen
7.3. Datenschutz und das Recht auf Privatsphäre
7.4. Terrorismusbekämpfungsgesetz

8. Strafvollzug und Haft

8.1. Jugendgerichtsbarkeit
8.2. Sicherungsverwahrung
8.3. Implementierung des Zusatzprotokolls zur Konvention gegen Folter

9. Empfehlungen

ANHANG I
Liste der besuchten oder konsultierten Behörden, Institutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen

ANHANG II
Kommentare der deutschen Bundesregierung

Einleitung
Kurze Darstellung und Zweck des Besuchs

1. Auf Einladung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier stattete der Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg der Bundesrepublik Deutschland vom 9. bis 11. sowie vom 15. bis 20. Oktober 2006 einen Besuch ab. Der Besuch war Teil der regelmäßigen Länderbesuche des Kommissars in allen Mitgliedstaaten des Europarats, bei denen bewertet werden soll, inwieweit die Menschenrechte tatsächlich beachtet werden.1 Der Kommissar wurde von den Mitarbeitern seines Büros Lauri Sivonen und Birgit Weyss begleitet.2

2. Im Verlauf seines Besuchs traf der Kommissar mit dem Bundesminister für Arbeit und Soziales und Stellvertreter der Bundeskanzlerin Franz Müntefering, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Innenminister Wolfgang Schäuble, Justizministerin Brigitte Zypries und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt zusammen. Er sprach ferner mit Regierungsmitgliedern der Bundesländer Berlin, Bayern und Sachsen. Der Kommissar besuchte Berlin, München, Karlsruhe und Dresden und traf mit Vertretern von Bundes-, Länder- und Kommunalbehörden, Vertretern der Justiz, Bundes- und Landtagsabgeordneten sowie Vertretern der Zivilgesellschaft zusammen. Er besuchte ferner mehrere Einrichtungen und Stätten mit Menschenrechtsbezug.3

3. Der Kommissar bringt seine große Anerkennung für die großzügige Mitwirkung der deutschen Behörden auf allen Ebenen zum Ausdruck und dankt insbesondere dem Außenminister und dem Auswärtigen Amt für ihr gemeinsames Engagement für die Ziele der Mission. Er dankt ferner allen, mit denen er während seiner Reise zusammengetroffen ist, für ihre offene und konstruktive Haltung und den freimütigen Meinungsaustausch. Der Kommissar ist besonders erfreut über die große Zahl von Vertretern der Zivilgesellschaft, die ihm ihr Fachwissen und wertvolle Informationen zu den Aufgaben im Bereich der Menschenrechte, mit denen sie konfrontiert sind, zukommen ließen.

4. Ziel dieses Berichts ist es, Chancen zur Verbesserung des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte in Deutschland aufzuzeigen. Der Kommissar ist der Ansicht, dass er als Werkzeug für die künftige Zusammenarbeit und für Folgemaßnahmen dienen soll. Er ruft die betreffenden Behörden und Institutionen auf, ihr gesammeltes Fachwissen zur weiteren Stärkung des Schutzes der Menschenrechte in Deutschland einzubringen. Der Kommissar ist fest davon überzeugt, dass in allen Ländern kontinuierliche Anstrengungen vonnöten sind, um die Menschenrechte auf einem hohen Niveau zu wahren, und dass eine solche Arbeit nur Wirkung entfalten kann, wenn sie im ständigen Dialog mit allen Beteiligten durchgeführt wird.

Hinweis zur Methode

5. Der Bericht beginnt mit einer kurzen Bewertung des nationalen Systems des Menschenrechtsschutzes in Deutschland, gefolgt von Kapiteln, die sich mit konkreten Menschenrechtsanliegen befassen. Aufgrund der föderalen Struktur sah sich der Kommissar oft genötigt, sechzehn Bundesländer statt eines einzigen Landes zu bewerten. Im Rahmen des vorliegenden Berichts ist es jedoch nicht möglich, derart viele Details aufzuführen. Der Bericht weist vielmehr auf die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für die Wahrung und Förderung der Menschenrechte hin und berücksichtigt zugleich die offensichtlich unterschiedlichen Kompetenzen von Bund und Ländern in bestimmten Politikbereichen.

6. Der Bericht stützt sich auf Informationen, die während des Besuchs zusammengetragen wurden, auf schriftliche Äußerungen und Berichte von Behörden und Organisationen der Zivilgesellschaft sowie auf Berichte von internationalen Mechanismen zur Überwachung der Menschenrechte. Der Bericht enthält keine erschöpfende Analyse der Aufgaben im Bereich der Menschenrechte in Deutschland, sondern spiegelt vielmehr die Prioritäten des Kommissars in Bezug auf den Schutz der Menschenrechte auf nationaler Ebene wider. Zuweilen weist der Bericht darauf hin, dass weitere Daten erhoben und analysiert werden müssen; er kann somit nur vorläufige Überlegungen enthalten.

1. Nationales System zum Schutz der Menschenrechte
1.1. Stand der internationalen Menschenrechtsübereinkünfte

7. Deutschland gehörte zu den ersten Staaten, die 1952 die Europäische Menschenrechtskonvention ratifizierten, die derzeit als Bundesgesetz in innerstaatliches Recht umgesetzt wird. Deutschland hat die meisten Menschenrechtsübereinkünfte des Europarats ratifiziert und fortlaufende Bemühungen unternommen, um zu gewährleisten, dass die Menschenrechte weitgehend geachtet werden. Außerdem spielt Deutschland seit langem eine aktive Rolle bei der Förderung der Entwicklung der internationalen Menschenrechtsstandards. Bei seiner Wahl in den Menschenrechtsrat in den Vereinten Nationen für volle drei Jahre bekräftigte Deutschland im letzten Jahr sein Bekenntnis zum Schutz der Menschenrechte auf nationaler und internationaler Ebene.

8. Der Kommissar begrüßt die Unterzeichnung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus durch Deutschland sowie die jüngste Entscheidung des Bundes und der Länder, das Fakultativprotokoll zum VN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe zu ratifizieren. Während seines Besuchs versicherten die deutschen Behörden dem Kommissar ferner, dass Deutschland bemüht sei, das Übereinkommen des Europarats gegen Menschenhandel sowie das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Computerkriminalität, mit dem rassistische und fremdenfeindliche Handlungen durch Computersysteme unter Strafe gestellt werden, in Kürze zu ratifizieren.

9. Was die noch nicht ratifizierten internationalen Übereinkünfte angeht, so ruft der Kommissar Deutschland auf, das Protokoll Nr. 12 über das allgemeine Diskriminierungsverbot zur Europäischen Menschenrechtskonvention und die Revidierte Europäische Sozialcharta zusammen mit den Zusatzprotokollen, in denen zusätzliche Rechte und ein Mechanismus der Kollektivbeschwerde vorgesehen sind, zu ratifizieren.4 Beide Übereinkünfte sind von zentraler Bedeutung für die Standards des Europarats und würden die Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung sowie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in Deutschland stärken. Angesichts der von den deutschen Behörden bekundeten Sorge, dass das Protokoll Nr. 12 im Widerspruch zu den deutschen Rechtsvorschriften stehe, weil es zwischen deutschen und nichtdeutschen Staatsangehörigen differenziere, verweist der Kommissar darauf, dass bestimmte Unterschiede auf der Grundlage der Staatsangehörigkeit rechtmäßig sein können, solange sie in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte objektiv und nachvollziehbar zu begründen sind.

10. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden von Deutschland im Allgemeinen in zufrieden stellender Weise umgesetzt. Der Fall Görgülü ist jedoch der erste deutsche Fall, der im Ministerkomitee des Europarats seit mehr als zwei Jahren einer Lösung harrt.5 Der Kommissar weiß, dass in letzter Zeit Fortschritte erzielt wurden, und hofft, dass der Fall ohne weitere Verzögerung vollständig gelöst werden wird. Im Fall Sürmeli hofft der Kommissar auf die rasche Verabschiedung eines Gesetzentwurfs zu Rechtsbehelfen gegen eine überlange Dauer schwebender Zivilverfahren.6 Er unterstreicht ferner, dass die angemessene Ressourcenzuteilung für die Tätigkeit von Gerichten im Rahmen der Rechtsbehelfe gegen eine überlange Verfahrensdauer berücksichtigt werden sollte. Schließlich begrüßt er das landesweite Verbot zur Zwangsverabreichung von Brechmitteln als Reaktion auf das Urteil des Gerichtshofs im Fall Jalloh.7

1.2. Beschwerdegremien und Menschenrechtsstrukturen
1.2.1. Parlamentarische Petitionsausschüsse

11. In Deutschland gibt es auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene ein hoch entwickeltes Petitionssystem. Das Recht, sich mit einer Beschwerde an das zuständige parlamentarische Gremium zu wenden, hat eine lange Geschichte und wird in Artikel 17 des Grundgesetzes niedergelegt. Im Bundestag und in den Länderparlamenten gibt es spezielle Petitionsausschüsse, die sich proportional aus Mitgliedern aller im jeweiligen Parlament vertretenen Parteien zusammensetzen. In den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Thüringen gibt es auch Bürgerbeauftragte im Parlament, die entweder mit dem Petitionsausschuss zusammenarbeiten oder ein alternatives Beschwerdegremium darstellen. Auf kommunaler Ebene gibt es keinen einheitlichen Beschwerdemechanismus. In einigen Städten oder Gemeinden können Beschwerden an den Bürgermeister gerichtet werden, in anderen an den Landtag oder den Stadt- beziehungsweise Gemeinderat.

12. Die Beschwerdeausschüsse teilen ihre Zuständigkeiten entsprechend der Kompetenzen des Bundes und der Länder auf und befassen sich mit schriftlichen Beschwerden und Ersuchen im Zusammenhang mit Maßnahmen oder Unterlassungen staatlicher Behörden oder mit rechtlichen Defiziten. Petitionen können kostenlos und einfach schriftlich oder zunehmend über das Internet eingereicht werden. Die Ausschüsse können Zeugen vernehmen und sich vor Ort ein Bild machen. Die Petitionsausschüsse von Berlin, Brandenburg und Sachsen sind ausdrücklich berechtigt, ohne vorherige Anmeldung Straf- und Untersuchungsanstalten sowie psychiatrische Einrichtungen zu besuchen. Die öffentlichen Behörden sind verpflichtet, den Petitionsausschüssen Zugang zu einschlägigen Informationen und Unterlagen zu gewähren. Mit Ausnahme des Petitionsausschusses in Berlin können die Ausschüsse Privatunternehmen, die öffentliche Dienstleistungen erbringen, jedoch nicht zwingen, ihre Anfragen zu beantworten oder Zugang zu einschlägigen Dokumenten zu gewähren. Außerdem können die meisten Petitionsausschüsse nicht aus eigener Initiative aktiv werden, obgleich es den Mitgliedern als Abgeordneten freisteht, Themen im Plenum oder in anderen parlamentarischen Ausschüssen anzusprechen.

13. Die Petitionsausschüsse können Petitionen normalerweise erfolgreich bearbeiten, indem sie Kontakt mit der betreffenden Behörde aufnehmen und eine einvernehmliche Lösung herbeiführen. In anderen Fällen unterbreitet der Ausschuss dem Parlamentsplenum Empfehlungen, wie die Petition behandelt werden soll. Das Parlamentsplenum kann eine Petition schließen oder eine Empfehlung an das zuständige Gremium der Exekutive schicken. Der Petitionsausschuss kann Verwaltungs- oder Justizentscheidungen nicht ändern noch hat er einen unmittelbaren Einfluss auf Maßnahmen der Regierung.

14. Im Verlauf seines Besuchs traf der Kommissar mit Vertretern der Petitionsausschüsse des Landes Berlin, des Freistaats Bayern und des Freistaats Sachsen sowie des Petitionsausschusses des Bundestags zusammen. Der Kommissar ist von der Arbeit der Ausschüsse beeindruckt und betrachtet das Petitionssystem als zentralen Mechanismus, mit dem die Aufmerksamkeit auf Fehlverhalten innerhalb der Verwaltung gelenkt und Defizite beziehungsweise Lücken in den Rechtsvorschriften ermittelt werden können. Er begrüßt, dass Petitionen oft über das Internet eingereicht werden können und dass die Ausschüsse öffentliche Veranstaltungen organisieren beziehungsweise daran teilnehmen, mit denen dieser Beschwerdemechanismus stärker bekannt gemacht werden soll. Die neue Möglichkeit, öffentliche Beschwerden von allgemeinem Interesse einzureichen, ist ein weiteres Element, das zeigt, dass es sich bei dem Petitionssystem um einen lebendigen, sich ständig weiterentwickelnden Mechanismus handelt. Der Kommissar befürwortet die Ausweitung der Mandate der Petitionsausschüsse auf Privatunternehmen, die öffentliche Aufgaben erfüllen, wie beispielsweise Post-, Fernmelde- und Verkehrsdienste, und die in gewisser Weise nach wie vor der staatlichen Aufsicht unterstehen.

15. Der Kommissar weist darauf hin, dass bei einem hoch entwickelten Petitionssystem mit einer komplexen Aufgabenverteilung die Gefahr besteht, dass die Petenten wiederholt von einem Gremium an das andere verwiesen werden. Er betont daher, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit zwischen den Petitionsausschüssen auf allen Ebenen und die rasche Weiterleitung der Petitionen an das zuständige Gremium sind.

16. Der Kommissar ist sich dessen bewusst, dass das Petitionssystem ein direktes Bindeglied zwischen den Abgeordneten und der Bevölkerung in Bezug auf Probleme bei der Umsetzung von Gesetzen und dem Verhalten staatlicher Behörden darstellt. Obgleich Petitionsausschüsse im Sinne der klassischen Einrichtung des Bürgerbeauftragten nicht als politisch unabhängig betrachtet werden können, liegt ihre besondere Stärke auch in ihrer Zusammensetzung. Als Parlamentarier haben die Mitglieder der Petitionsausschüsse direkten Einfluss auf Gesetzesänderungen, die möglicherweise erforderlich sind, um auf die durch die eingegangenen Petitionen aufgeworfenen Probleme eingehen zu können.

1.2.2. Bundestags-Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

17. 1998 wurde der auf außenpolitische Angelegenheiten beschränkte Unterausschuss zum Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe aufgewertet, einem kompetentem ständigem Ausschuss des Bundestags, der für Menschenrechte in innen- und außenpolitischen Angelegenheiten zuständig ist. Die derzeit 16 Mitglieder des Ausschusses werden von den politischen Parteien entsprechend der Zahl ihrer Sitze im Bundestag ernannt. Der Ausschuss berät die von den Parlamentsfraktionen, dem Bundesrat oder der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe und Anträge. Er gibt Empfehlungen und Stellungnahmen zu einer Vielzahl von Menschenrechtsangelegenheiten im Zusammenhang mit der Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik sowie innenpolitischen Angelegenheiten wie Asylrecht und Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ab. Außerdem hat der Ausschuss die wichtige Aufgabe, die Tätigkeiten der Regierung im Bereich der Menschenrechte zu überwachen, indem er sein Recht ausübt, konkrete Fragen an Mitglieder der Bundesregierung zu stellen.

18. Während des Besuchs traf der Kommissar mit Vertretern des Ausschusses zusammen. Er begrüßt die Tatsache, dass der Ausschuss innenpolitische und internationale Menschenrechtsangelegenheiten umfassend und als Querschnittsthemen aufgreifen kann. Ferner würdigt der Kommissar den engen Dialog des Ausschusses mit nichtstaatlichen Organisationen und unabhängigen Experten und unterstreicht, welche zentrale Rolle der Ausschuss bei der Gründung des Deutschen Instituts für Menschenrechte spielte. Er bestärkt den Ausschuss darin, öffentliche Sitzungen abzuhalten, um eine verstärkte Beteiligung der Öffentlichkeit zu gewährleisten und das Bewusstsein für Menschenrechtsfragen zu schärfen. Der Kommissar ist der Auffassung, dass der Ausschuss zur Weiterentwicklung des nationalen „Aktionsplans Menschenrechte", der zum ersten Mal im siebten Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik veröffentlicht wurde, einen besonders wertvollen Beitrag leisten könnte.

19. Angesichts der wichtigen Rolle der Länder bei der Umsetzung der Menschenrechtsstandards ermutigt der Kommissar die Länderparlamente, Menschenrechtsanliegen in ihrer Arbeit systematischer zu berücksichtigen. Die Länderparlamente können die Einsetzung engagierter Menschenrechtsausschüsse oder die regelmäßige Einbeziehung von Menschenrechtsfragen in die Arbeit bestehender Ausschüsse in Erwägung ziehen, um die staatliche Politik zu überprüfen und Empfehlungen auf diesem Gebiet abzugeben.

1.2.3. Beauftragte

20. Auf Bundesebene gibt es mehrere Beauftragte für Menschenrechtsfragen: Ihr Mandat, das Ernennungsverfahren und die strukturelle Unabhängigkeit unterscheiden sich beträchtlich. Während einige die Regierung beraten und als politische Koordinatoren tätig sind, nehmen andere unabhängige Aufgaben eines Bürgerbeauftragten mit dem ausdrücklichen Mandat wahr, Beschwerden entgegenzunehmen.

21. Zu denjenigen, die die Aufgaben eines Bürgerbeauftragten wahrnehmen, zählen der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sowie der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, der sich um Beschwerden von Bundeswehrsoldaten kümmert. Beide werden vom Deutschen Bundestag für fünf Jahre gewählt. Während der Datenschutzbeauftragte und sein Büro verwaltungstechnisch dem Innenministerium angegliedert sind, untersteht der Wehrbeauftragte unmittelbar dem Bundestag, weil er eine parlamentarische Kontrollfunktion in Bezug auf die Bundeswehr ausübt. Beide Beauftragte können auf der Grundlage eindeutiger Verfahrensregeln Beschwerden entgegennehmen. Sie haben die Befugnis, Untersuchungen durchzuführen, und können um Zugang zu Behördenakten und –dateien ersuchen.

22. Darüber hinaus gibt es Beauftragte der Bundesregierung, die die Bundesregierung in einschlägigen Politikbereichen beraten und Stellungnahmen zu damit zusammenhängenden Gesetzesentwürfen abgeben. Außerdem haben sie eine wichtige Funktion als politische Koordinatoren zwischen den verschiedenen Ressorts und dienen als Anlaufstelle für staatliche Behörden sowie nichtstaatliche Interessengruppen. Sie werden von der Bundesregierung für die Dauer der Legislaturperiode des jeweiligen Bundestags gewählt. Die Zahl der Beauftragten schwankt in jeder Legislaturperiode abhängig vom politischen Schwerpunkt der jeweiligen Regierung.

23. Die Beauftragte für Menschenrechtsfragen des Bundesministeriums der Justiz ist die Regierungsvertreterin, die Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertritt, die nationale Vollstreckung der Urteile des Gerichtshofs überwacht und Mitglied des Lenkungsausschusses für Menschenrechte des Europarats ist. Im Auswärtigen Amt verfolgt der Beauftragte für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe die internationalen Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte; er gehört dem VN-Menschenrechtsrat an, berät die Regierung und informiert die breite Öffentlichkeit über die Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen.

24. Zu den Beauftragten der Bundesregierung, die sich mit Themen mit spezifischem Menschenrechtsbezug befassen, gehören die Beauftragte für die Belange der Patientinnen und Patienten, die Beauftragte für die Belange behinderter Menschen, der Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration. Diese Beauftragten setzen sich auch dafür ein, die Belange der entsprechenden Gruppen in der Regierungspolitik zu berücksichtigen. Im Gegensatz zu dem Datenschutzbeauftragten und dem Wehrbeauftragten beinhalten ihre Mandate keinen spezifischen Beschwerdemechanismus; dies gilt nicht für die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, deren Mandat auch die Entgegennahme von Beschwerden von Privatpersonen über staatliche Stellen umfasst. Die Behörden sind gesetzlich verpflichtet, der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration Auskünfte zu erteilen und ihre Fragen zu beantworten. Obwohl die anderen drei Beauftragten, die für die Interessen von Patienten, Behinderten und nationalen Minderheiten zuständig sind, in der Praxis Beschwerden von Einzelpersonen erhalten, sieht ihr Mandat keine besonderen Untersuchungsbefugnisse vor, noch hat eine Einzelperson das Recht, eine Beschwerde an diese Institutionen zu richten. Eine Ausnahme bildet der Umstand, dass Bundesbehörden und andere Bundesgremien verpflichtet sind, der Beauftragten für die Belange behinderter Menschen Auskunft zu erteilen und Zugang zu Akten zu gewähren.8

25. Während seines Besuchs traf der Kommissar mit mehreren dieser Bundesbeauftragten zusammen.9 Auch auf Länderebene gibt es viele Beauftragte, die sich mit Themen wie Integration, Datenschutz, Behinderungen und Diskriminierung befassen, und der Kommissar konnte auch mit einigen von ihnen zusammentreffen. Der Kommissar ist beeindruckt von der Zahl der Institutionen, die sich auf Bundes- und Länderebene mit konkreten oder allgemeinen Menschenrechtsangelegenheiten befassen. Unter Berücksichtigung der großen Vielzahl der Mandate und Zuständigkeiten hält es der Kommissar jedoch für recht schwierig, zwischen den Beauftragten, die unabhängige Aufgaben eines Bürgerbeauftragten ausüben, und denjenigen zu unterscheiden, die überwiegend als Berater und Koordinatoren tätig sind.

26. Der Kommissar unterstreicht, dass alle Institutionen, die sich mit Beschwerden über staatliche Stellen befassen, vorzugsweise unabhängig sein und auf Beschwerden auf der Grundlage klarer Verfahren reagieren sollten. Die Aufgaben und die Unabhängigkeit einer solchen Einrichtung sollten auch für den potenziellen Beschwerdeführer erkennbar sein. Der Kommissar ist der Auffassung, dass aufgrund der Vielschichtigkeit des Systems der Beschwerdegremien in Deutschland eine aktive Informationsstrategie notwendig ist, damit ihre Funktionsweise der breiten Öffentlichkeit deutlich erklärt werden kann. Informationen über verfügbare außergerichtliche Beschwerdestellen auf Bundes- und Länderebene, auch über ihre Mandate, ihren Status und die Verfahren, sollten der breiten Öffentlichkeit in einem leicht zugänglichen Format zur Verfügung gestellt werden. Der Kommissar ermutigt die deutschen Behörden ferner, klar zwischen unabhängigen Beschwerdegremien und staatlichen Institutionen zu unterscheiden, die eingesetzt wurden, um sich mit Maßnahmen und Themen mit konkretem Menschenrechtsbezug zu befassen.

1.2.4. Deutsches Institut für Menschenrechte

27. Im Anschluss an eine einstimmig verabschiedete Entscheidung des Bundestags wurde 2001 das Deutsche Institut für Menschenrechte unter Hinweis auf die Pariser Grundsätze der Vereinten Nationen zu nationalen Menschenrechtsinstitutionen gegründet. Das Mandat des Instituts beinhaltet die Bereitstellung von Informationen und Unterlagen, Forschung, politische Beratung und Menschenrechtserziehung in Deutschland. Das Institut fungiert auch als offene Kommunikationsplattform für Menschenrechtsfragen und übt daher eine wichtige Brückenfunktion zwischen staatlichen Stellen und nichtstaatlichen Interessenträgern aus.

28. Um die Unabhängigkeit des Instituts von staatlichem Einfluss zu gewährleisten, enthält seine Geschäftsordnung detaillierte Bestimmungen zu den Entscheidungs- und Verwaltungsverfahren. Das Kuratorium, das den Gesamtarbeitsplan des Instituts und seinen Haushalt genehmigt, soll Spiegelbild des politischen und gesellschaftlichen Pluralismus in Deutschland sein. Es setzt sich aus Vertretern der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Medien sowie aus Abgeordneten und Regierungsvertretern zusammen. Die Regierungsvertreter haben jedoch kein Stimmrecht. Das Institut wird im Wesentlichen vom Bundesministerium der Justiz, dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nachhaltig finanziert. Das Institut ist bestrebt, sich mit konkreten oder weniger sichtbaren Menschenrechtsthemen zu befassen und auf Verbesserungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen.

29. Der Kommissar stattete dem Institut in Berlin einen Besuch ab und führte Gespräche mit dem Kuratorium und Mitarbeitern. Er war beeindruckt von der breiten Palette der Tätigkeiten des Instituts und zahlreichen Expertenveröffentlichungen. Nach Auffassung des Kommissars spielt das Institut eine wesentliche Rolle bei der Ergänzung der bestehenden Mechanismen zum Schutz der Menschenrechte in Deutschland. Die Unabhängigkeit des Instituts ist ein wertvolles Gut. Das Institut ist dadurch in der einzigartigen Lage, die Menschenrechtsbelange aufzugreifen, zu deren Änderung kein ausreichendes öffentliches Bewusstsein vorhanden ist oder es am politischen Willen mangelt.

30. Der Kommissar empfiehlt die Stärkung der Beobachtungsaufgaben des Instituts, die derzeit sehr beschränkt sind. Das Institut sollte in die Lage versetzt werden, strukturelle und faktische Beobachtungen durchzuführen. Der Kommissar empfiehlt auch, die beratende Rolle des Instituts bei der Ausarbeitung von Gesetzen, die sich auf Menschenrechte auswirken, zu stärken. Das Institut sollte in der Lage sein, rechtzeitig und fundiert Stellungnahmen und Empfehlungen zu Gesetzesvorlagen abzugeben.

1.3. Justizsystem

31. Als Reaktion auf den Missbrauch des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit während des Nationalsozialismus hat Deutschland nach dem Krieg ein sehr spezifiziertes System rechtlicher Beschwerde- und Berufungsmöglichkeiten entwickelt, das jeder Person, deren Rechte durch Behörden verletzt wurden, die Möglichkeit des Rechtsschutzes vor Gericht bietet. Der Katalog der im Grundgesetz verankerten Grundrechte gilt in gewissem Maße als dessen unveränderlicher Kernbestand. Diese Rechte sind für die Legislative, die Exekutive und die Judikative auf Bundes- und Länderebene unmittelbar bindend.

32. Die Unabhängigkeit der Justiz ist im Grundgesetz verankert. Die ordentliche Gerichtsbarkeit für zivil- und strafrechtliche Fälle hat einen vierstufigen Aufbau, wobei der Bundesgerichtshof zu den obersten Gerichtshöfen zählt. Es gibt gesonderte Justizbereiche für Fragen des allgemeinen Verwaltungs-, Steuer-, Arbeits- und Sozialrechts mit jeweils mindestens einem Rechtsbehelf.

33. Während die Struktur der Rechtsprechung durch Bundesrecht geregelt ist, fällt die Justizverwaltung im Allgemeinen in die Zuständigkeit der Bundesländer. Um sicherzustellen, dass die Gesetze in allen Ländern gleich ausgelegt und angewendet werden, sind die obersten Gerichtshöfe jedes Gebiets auf Bundesebene angesiedelt. Obwohl alle Gerichte für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit staatlicher Maßnahmen und Gesetze zuständig sind, kann nur das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklären. Das Bundesverfassungsgericht ist daher als das höchste Justizorgan zu betrachten, das dafür zuständig ist zu gewährleisten, dass alle staatlichen Institutionen die im Grundgesetz verankerten Grundrechte beachten. Selbst Verfassungsänderungen, die mit einer qualifizierten Mehrheit des Bundestags verabschiedet werden, können von dem Gericht unter dem Aspekt der unveränderlichen Grundprinzipien des Grundgesetzes überprüft werden. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass alle Bundesländer ausgenommen Schleswig-Holstein ihre eigenen Verfassungsgerichte haben, die Fälle mit Bezug zu den Länderverfassungen aufgreifen können.

34. Dem Bundesverfassungsgericht kommt eine wesentliche Rolle bei der Sicherung des Schutzes der im Grundgesetz garantierten Rechte zu. Jede Person, die behauptet, ihre Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte seien durch eine Verwaltungsstelle, ein Urteil eines Gerichts oder ein Gesetz verletzt worden, kann Verfassungsbeschwerde erheben. Im Allgemeinen sind derartige Beschwerden nur nach Ausschöpfung aller sonstigen Rechtsmittel zulässig. Eine Verfassungsbeschwerde muss zur Entscheidung angenommen werden, wenn sie von grundsätzlicher verfassungsmäßiger Bedeutung ist, wenn der behauptete Verstoß gegen die Grundrechte besonders gravierend ist oder wenn der Beschwerdeführer besonders schweren Schaden erleiden würde, sollte die Sache nicht entschieden werden. Obwohl die große Mehrheit der Beschwerden nicht angenommen wird, ist zu unterstreichen, dass Entscheidungen in Einzelfällen weit über den konkreten Fall hinausreichende Auswirkungen haben können, indem sie die Exekutive oder die Legislative verpflichten, weitreichende Änderungen vorzunehmen.

35. Während seines Besuchs traf der Kommissar mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs sowie mit mehreren anderen Richtern auf Bundes- und Länderebene zusammen. Dem Kommissar wurde versichert, dass die Bundesgerichte in ihrer Rechtsprechung die Europäische Menschenrechtskonvention und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebührend berücksichtigen. Der Kommissar stellt jedoch fest, dass wegen der unterschiedlichen Formulierung bestimmter Rechte im Grundgesetz und in der Europäischen Konvention, beispielsweise die Meinungsfreiheit betreffend, die gleichzeitige einheitliche Auslegung dieser beiden Dokumente gelegentlich einer besonderen Anstrengung bedarf. Der Kommissar betont auch, wie wichtig es ist, Richter und Staatsanwälte an Gerichten auf Länder- und kommunaler Ebene im Thema Europäische Menschenrechtskonvention zu schulen, um deren direkte nationale Umsetzung zu stärken. Dem Kommissar ist bekannt, dass das Bundesministerium der Justiz an der Entwicklung des neuen Programms für die Menschenrechtserziehung von Rechtsexperten (HELP) des Europarats Anteil hat, und er ermutigt die deutschen Behörden, sich aktiv an dessen Umsetzung zu beteiligen. Was das Jurastudium an Hochschulen angeht, stellt der Kommissar mit Bedauern fest, dass die internationalen Vorschriften im Bereich der Menschenrechte oft nur als fakultatives Fach gelehrt zu werden scheinen. Er bestärkt die deutschen Hochschulen darin, Menschenrechte in den Kernlehrplan des Jurastudiums aufzunehmen.

36. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für Menschen, die sich die Verfahrenskosten nicht leisten können, ist für einen effektiven Zugang zur Justiz von wesentlicher Bedeutung. Der Kommissar stellt mit Sorge fest, dass mehrere Länder im Mai 2006 bestimmte Änderungen vorgeschlagen haben, mit denen der Zugang zur Prozesskostenhilfe eingeschränkt werden soll, obwohl er versteht, dass Maßnahmen gegen eine eindeutig missbräuchliche Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe ergriffen werden müssen. Nach Auffassung des Kommissars sollte niemand gezwungen sein, sein Existenzminimum aufzuwenden, um wirksamen Zugang zur Justiz zu erhalten. Die Gründe für die Verweigerung der Prozesskostenhilfe sollten im Wesentlichen auf die Nichtzulässigkeit, offenkundig unzureichende Erfolgsaussichten oder auf Fälle beschränkt werden, in denen die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht notwendigerweise im Interesse der Justiz liegt.10

1.4. Polizei

37. Der Kommissar misst der Rolle der Polizeibehörden beim Schutz der Menschenrechte große Bedeutung bei. Die Polizeibehörden, die der Kommissar aufsuchte, versicherten ihm, dass Menschenrechte bei der Vorbereitung auf den Polizeidienst und der internen Schulung eine große Rolle spielten und dass diese Schulungsmaßnahmen in den letzten Jahren verstärkt worden seien. In dem jüngsten Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik wird dieses Engagement bestätigt und werden die Menschenrechte als fester Bestandteil der Polizeiausbildung gewürdigt. Die zu verschiedenen Schulungsmaßnahmen bereit gestellten Informationen zeigen, dass Menschenrechte praxisbezogen und umfassend gelehrt werden.

38. Die Verteilung der Polizeibehörden auf Bundes- und Länderebene hat zu einem sehr variablen und zersplitterten System von Polizeiausbildungseinrichtungen und –lehrplänen geführt, wodurch eine Gesamteinschätzung beziehungsweise –bewertung schwierig ist. In einer vor kurzem vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Auftrag gegebenen Studie wird auf Möglichkeiten zur Verbesserung der Schulung der Polizei auf dem Gebiet der Menschenrechte hingewiesen. Mittels einer Analyse der Lehrpläne und Seminarprogramme hat die Studie Schwächen in Bezug auf die Weiterbildung aufgezeigt. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Menschenrechtsschulung, die konkret auf alle Hierarchieebenen abgestellt ist, zu einem obligatorischen Bestandteil der Weiterbildung für die Polizei werden sollte. Der Kommissar hält es für wichtig, die Bedeutung der Menschenrechte auch in den Management- und Organisationsstrukturen der Polizei zum Ausdruck zu bringen und dadurch einen offenen und konstruktiven Geist der Zusammenarbeit zu fördern, der einen kritischen Denkprozess und Austausch über die Hierarchien hinweg ermöglicht. Der Kommissar ermutigt die Polizeibehörden, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, inwieweit in der Polizeipraxis Menschenrechtsstandards eingehalten und gefördert werden.11

39. Nach Auffassung des Kommissars muss die Polizei in einer demokratischen Gesellschaft bereit sein, ihre Maßnahmen überwachen zu lassen und dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Obwohl es interne Mechanismen gibt, die sich mit Fällen mutmaßlichen Fehlverhaltens der Polizei in Deutschland befassen, ruft der Kommissar die deutschen Behörden auf, zu diesem Zweck unabhängige Beobachtungs- und Beschwerdegremien einzurichten. Die Unabhängigkeit dieser Beobachtungsgremien kann nur wirksam gewährleistet werden, wenn sie außerhalb der Polizei- und Ressortstrukturen angesiedelt werden. Die Entscheidung Deutschlands, das Fakultativprotokoll zum VN-Übereinkommen gegen Folter zu ratifizieren, könnte eine gute Gelegenheit darstellen, die Beobachtungs- und Überwachungsstrukturen der Polizei zu überprüfen und unabhängige Beobachtungs- und Beschwerdegremien für das Verhalten der Polizei einzurichten (siehe auch Kapitel 1.1 und 8.3). Ein weiteres wichtiges Element einer wirksamen Beobachtung ist die Erhebung von Daten zu Anschuldigungen wegen Misshandlung oder Fehlverhalten seitens der Polizei sowie zu den von beschuldigten Polizisten erhobenen Gegenklagen.12 Der Kommissar hat Kenntnis von den früheren einschlägigen Empfehlungen der VN-Vertragsüberwachungsgremien und des Ausschusses gegen Folter und fordert die deutschen Behörden nachdrücklich auf, sich an diese Empfehlungen zu halten.13

1.5. Zivilgesellschaft

40. In Deutschland gibt es eine lebendige Zivilgesellschaft, die sowohl auf kommunaler als auch auf regionaler und auf Bundesebene aktiv ist. Beim Menschenrechtsforum handelt es sich um ein Netz von mehr als 40 nichtstaatlichen Organisationen, die sich für die Verbesserung des Menschenrechtsschutzes innerhalb und außerhalb Deutschlands einsetzen. Während seines Besuchs ist der Kommissar mit zahlreichen Vertretern nichtstaatlicher Organisationen zusammen getroffen, und er ist sehr dankbar, dass sie ihn an ihrem Fachwissen und ihren wertvollen Informationen zu den Herausforderungen auf dem Gebiet der Menschenrechte, mit denen sie konfrontiert sind, teilhaben ließen.

41. Die Vertreter der Zivilgesellschaft informierten den Kommissar darüber, dass die Zusammenarbeit der Bundesbehörden mit nichtstaatlichen Organisationen abhängig von der jeweiligen staatlichen Stelle sehr unterschiedlich sei. Dies gelte auch für die Rücksprache mit der Zivilgesellschaft betreffend Gesetzesentwürfe mit Menschenrechtsbezug. In solchen Fragen scheint kein systematisches Verfahren der Rücksprache mit Menschenrechtsorganisationen eingehalten zu werden.

42. Den Organisationen der Zivilgesellschaft liegen wertvolle Informationen über die tatsächlichen Menschenrechtsprobleme vor, mit denen die Menschen in Deutschland konfrontiert sind. Sie sind oft die erste Anlaufstelle, an die sich die Menschen mit ihren Menschenrechtsbelangen wenden. Der Kommissar ermutigt die deutschen Behörden auf allen Ebenen, die nichtstaatlichen Organisationen als kritische Partner bei der Arbeit zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes zu betrachten und ihr Fachwissen optimal zu nutzen. Er empfiehlt den Behörden, regelmäßig runde Tische oder eine andere Form des institutionalisierten Dialogs und der Beratung mit Vertretern der Zivilgesellschaft zu organisieren. Zentrale Themen eines solchen Dialogs können die derzeitige Politik und Gesetzentwürfe mit Menschenrechtsbezug sowie die Entwicklung von Verbesserungsstrategien sein.

1.6. Menschenrechtserziehung

43. Die Menschenrechtserziehung ist ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Menschenrechtspolitik. Sie versetzt den Einzelnen in die Lage, seine Rechte auszuüben, fördert kritisches Denken und bestärkt die Menschen darin, sich für die Menschenrechtsbelange anderer einzusetzen.

44. Der Kommissar begrüßt, dass die Menschenrechte im Rahmenlehrplan aller Länder enthalten sind. Mit Befriedigung stellt er fest, dass der vom Europarat entwickelte „Kompass – ein Handbuch zur Menschenrechtserziehung für die schulische Bildungsarbeit“ sowohl bei Lehrern als auch bei Schülern auf positive Resonanz stieß. Das Menschenrechtsforum und das Deutsche Institut für Menschenrechte haben jedoch ihre Sorge darüber geäußert, dass die Menschenrechtserziehung an Schulen nicht systematisch erfolgt, sondern vielmehr der Initiative einzelner Lehrer überlassen bleibt. Der Kommissar ist überzeugt, dass eine systematischere Einbeziehung der Unterrichtsmethoden zu Menschenrechten bei der Aus- und Fortbildung von Lehrern dazu beitragen würde, dass Menschenrechtsfragen im Unterricht viel stärker zur Geltung kommen.

45. Die Menschenrechtserziehung ist jedoch nicht nur eine Angelegenheit der Schulen, sondern sollte die gesamte Bevölkerung angehen. Zur Zeit haben nur das Deutsche Institut für Menschenrechte und der UNESCO-Lehrstuhl an der Universität Magdeburg ein klares Mandat zur Förderung der Menschenrechtserziehung in Deutschland. Trotz der Vielzahl von Projekten und Aktivitäten der Zivilgesellschaft im Bereich der Menschenrechtserziehung ist die derzeitige Infrastruktur mit ihren begrenzten Ressourcen nicht in der Lage, den landesweiten Bedarf zu decken oder Dienstleistungen und Workshops in ganz Deutschland anzubieten. Der Kommissar empfiehlt eine stärkere Institutionalisierung der Menschenrechtserziehung mit einem klaren Mandat für Koordination, Ausbildung, Entwicklung von Unterrichtsinstrumenten und auf einzelne Berufe speziell zugeschnittene Programme. Öffentliche Aufklärungskampagnen zum Thema Menschenrechte sowie allgemeine Vorträge oder Diskussionsforen sind zusätzliche Methoden der allgemeinen Menschenrechtserziehung, die stärker zum Einsatz kommen sollten.

46. Der Ausbau der Infrastruktur für die Menschenrechtserziehung würde die Einbeziehung der Menschenrechte in die beruflichen Laufbahnen weiter stärken. Der Kommissar ermutigt zur Aufnahme der Menschenrechte als Kernbestandteil der beruflichen Ausbildung im Justizvollzug und für Lehrer und Praktiker im Sozialwesen und Gesundheitsbereich. Außerdem würden staatliche Bedienstete im Allgemeinen sowie Parlamentarier auf Bundes- und Länderebene von einer Menschenrechtsschulung profitieren, die auf ihr Arbeitsgebiet zugeschnitten ist.

47. Obwohl Deutschland viele Initiativen in Bezug auf die VN-Dekade für Menschenrechtserziehung ergriffen hat, wurde bislang kein umfassender, wirksamer und nachhaltiger nationaler Aktionsplan für die Menschenrechtserziehung entwickelt. Der Kommissar ermutigt Deutschland, dem Beispiel anderer Länder zu folgen und einen Aktionsplan zu erstellen, der auch die Einrichtung eines nationalen Ausschusses für Menschenrechtserziehung vorsieht. Der Ausschuss sollte eine breite Koalition staatlicher und nichtstaatlicher Akteure umfassen und für die Entwicklung und Umsetzung des nationalen Aktionsplans zuständig sein.

1.7. Nationale Koordinierung von Menschenrechtsfragen

48. In Deutschland gibt es bereits eine große Vielzahl von Institutionen und Mechanismen, mit denen Menschenrechtsanliegen festgestellt und behandelt werden können. Aufgrund der föderalen Struktur wird dieses Netz noch viel komplexer, so dass ein Beschwerdeführer, der ein für die Beseitigung der Defizite zuständiges Gremium sucht, durch das Labyrinth von gebotenen Möglichkeiten möglicherweise abgeschreckt wird. Das System zum Schutz der Menschenrechte in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten ständig weiterentwickelt worden, was auch die im Bereich der internationalen Menschenrechtsstandards und –mechanismen erzielten Fortschritte widerspiegelt. Der Kommissar ist sich bewusst, dass bestimmte Behörden und Parlamentarier möglicherweise einen gewissen Überdruss verspüren, das System durch die Schaffung neuer Institutionen weiterzuentwickeln. Dennoch könnte jetzt der richtige Zeitpunkt für eine gründliche Überprüfung des derzeitigen Systems sein, um seine Zugänglichkeit und Effizienz sowie die gegenseitige Ergänzung und Abstimmung der betreffenden Institutionen und Gremien zu verbessern.

49. Der Kommissar begrüßt, dass der siebte Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik zum ersten Mal einen nationalen „Aktionsplan Menschenrechte” enthält. Ein solcher Aktionsplan sollte auf die Verbesserung des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte auf nationaler Ebene durch ein umfassendes und kohärentes Konzept für die Menschenrechtspolitik und –planung abzielen. Eine detaillierte Grundlagenstudie im Sinne des VN-Handbuchs zu nationalen Aktionsplänen für Menschenrechte könnte der beste Ausgangspunkt für die Analyse der derzeitigen Strukturen und Politik im Bereich der Menschenrechte sein.14 Sie würde eine direkte Bewertung der nationalen Aufgaben in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte beinhalten. Der Kommissar ist überzeugt, dass eine solche Analyse für die Prüfung des institutionellen Rahmens des Menschenrechtsschutzes in Deutschland besonders nützlich wäre. Die Ermittlung von Bereichen, in denen es möglicherweise Lücken beziehungsweise eine Überlappung gibt, sollte gezielte Maßnahmen zur systematischen Verbesserung der Koordinierung und Stärkung oder Straffung von Institutionen ermöglichen.

50. Der derzeitige nationale Aktionsplan konzentriert sich vor allem auf die Beteiligung Deutschlands an internationalen Menschenrechtsaktivitäten einschließlich der internationalen Beobachtung der Einhaltung der Menschenrechte in Deutschland. Ein nationaler Menschenrechtsplan muss jedoch, um wirksam zu sein, in der Innenpolitik verankert werden und klare Ziele sowie Strategien zu ihrer Verwirklichung beinhalten. Im Sinne einer wirksamen Beobachtung sollte der Aktionsplan auch konkrete und realistische Vorgaben enthalten, die entsprechend den Politikbereichen und Verantwortlichkeiten strukturiert sind. Der Kommissar betont, dass im Verlauf der Erstellung eines nationalen Aktionsplans für Menschenrechte substanzielle Beratungen mit allen betroffenen Beteiligten, auch den nichtstaatlichen Organisationen, stattfinden sollten. Die Ermittlung und Beteiligung aller Partner an den Vorbereitungsarbeiten wird auch dazu beitragen, die jeweiligen Verantwortlichkeiten der verschiedenen Behörden und Institutionen auf Bundes-, Länder- und regionaler Ebene sowie die Erfordernisse hinsichtlich Koordinierung und Zusammenarbeit bei der Umsetzung des Planes zu klären.

51. Zur Verbesserung der systematischen Umsetzung internationaler Menschenrechtsübereinkünfte durch Deutschland sollte der Aktionsplan auch eine Liste der internationalen Übereinkünfte enthalten, die noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert wurden oder denen gegenüber es nach wie vor Vorbehalte gibt. Ein solches Instrument kann dazu benutzt werden, Möglichkeiten für weitere Fortschritte erneut zu prüfen und an denjenigen Übereinkünften festzuhalten, bei denen ein Beitritt noch nicht auf der politischen Agenda steht. Schließlich empfiehlt der Kommissar, der nationale „Aktionsplan Menschenrechte” solle bereits vorhandene Aktionspläne zu spezifischen Bereichen einbeziehen, um eine Überschneidung zu vermeiden.

52. Der Kommissar bestärkt demzufolge die deutschen Behörden nachhaltig darin, den nationalen „Aktionsplan Menschenrechte” als einen koordinierten Prozess für die fortlaufende Verbesserung des Menschenrechtschutzes in Deutschland weiterzuentwickeln. Der von der Bundesregierung alle zwei Jahre herausgegebene Bericht über ihre Menschenrechtspolitik ist ein wichtiges Werkzeug, um die Menschenrechtspolitik der Regierung zu beschreiben und darüber zu informieren. Er kann jedoch einen stärker analytisch und strukturell ausgerichteten Ansatz eines umfassenden nationalen Aktionsplans für Menschenrechte nicht ersetzen, wie er von der VN-Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien 1993 vorgesehen wurde.

2. Verhinderung von Diskriminierung
2.1. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
2.1.1. Rechtlicher Rahmen

53. Mit der Umsetzung von insgesamt vier EU-Richtlinien zur Bekämpfung der Diskriminierung hat Deutschland einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Verbesserung des rechtlichen Schutzes gegen Diskriminierung nichtstaatlicher Akteure, insbesondere außerhalb des Arbeitsmarkts, unternommen.15 Das Umsetzungsverfahren dauerte länger als in jedem anderen EU-Mitgliedstaat und war von einer intensiven öffentlichen und politischen Debatte begleitet. Der Kommissar stellt fest, dass der schwierige Prozess zum Teil auf das Bestreben Deutschlands zurückzuführen war, umfassendere Rechtsvorschriften als die Mindestanforderungen der Richtlinien zu erlassen.

54. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das im August 2006 in Kraft trat, verhindert die Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Der Kommissar begrüßt, dass in dem neuen Gesetz eine hierarchische Anordnung der verschiedenen Gründe der Benachteiligung weitgehend vermieden wird. Im Gegensatz zu den EU-Richtlinien gilt das Verbot der Benachteiligung in Bereichen außerhalb der Arbeitswelt nicht nur für die Benachteiligung aus rassischen und ethnischen Gründen, sondern wird auf alle anderen Gründe der Benachteiligung erstreckt, was Massengeschäfte oder eine privatrechtliche Versicherung angeht. In Bezug auf ein privatrechtliches Vertragsverhältnis wurde die Benachteiligung aufgrund der Weltanschauung jedoch nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes aufgenommen.

55. Der Kommissar bringt seine Sorge über die mögliche negative Auswirkung der Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung bei der Vermietung von Wohnraum zum Ausdruck. Laut dem Gesetz ist eine unterschiedliche Behandlung auf der Grundlage der aufgeführten Kriterien zulässig, wenn sie dem Zweck dient, „sozial stabile Bewohnerstrukturen und ausgewogene Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verhältnisse zu schaffen und zu erhalten“.16 Diese ziemlich breit gefasste und unklare Ausnahmeregelung könnte die Tür für Missbrauch öffnen, was möglicherweise eine weitere Abgrenzung fördert, anstatt diese zu vermeiden. Das Bemühen um stabile Bewohnerstrukturen sollte nicht als positive Maßnahme zur Förderung der Vielfalt in einem Wohnbezirk zählen, wenn sie dazu genutzt werden kann, die besonders benachteiligten Personen auszuschließen. Organisationen der Zivilgesellschaft unterrichteten den Kommissar darüber, dass diese Bestimmung bereits zur Ausgrenzung von Familien mit Migrationshintergrund in Wohngebieten geführt habe, da sie daran gehindert worden seien, eine Wohnung in Wohnblocks zu mieten, die nur von Deutschen bewohnt waren. Die deutschen Behörden haben den Kommissar jedoch darüber unterrichtet, dass die von den Organisationen der Zivilgesellschaft beschriebene Praxis nicht in Übereinstimmung mit der genannten Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung steht. Nach Aussage der Behörden habe diese Bestimmung einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich und könne nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie nachweislich dazu diene die Integration der Betroffenen zu fördern. Ein weiterer Aspekt, welcher den Schutz vor Benachteiligung im Wohnungsbereich erheblich einschränkt, ist die Tatsache, dass die Verpflichtung zur Gleichbehandlung nur für diejenigen bindend ist, die mehr als 50 Wohnungen vermieten, ausgenommen die Benachteiligung aufgrund der ethnischen Herkunft.

56. Der Kommissar ist ferner der Auffassung, dass sich die Befristung der Ansprüche auf zwei Monate auch negativ auf den tatsächlichen Schutz vor Diskriminierung auswirken könnte. Laut den Behörden zielt diese Bestimmung darauf ab, insbesondere Arbeitgeber davor zu schützen, eine zu große Zahl von Unterlagen im Zusammenhang mit Bewerbungen aufbewahren zu müssen. Die Behörden haben den Kommissar auch davon in Kenntnis gesetzt, dass die Frist nicht direkt für die Klageeinreichung, sondern für die Geltendmachung der Forderung bei der anderen Partei gilt. Trotz der Tatsache, dass viele Opfer von Benachteiligung zögern, unmittelbar rechtliche Schritte zu unternehmen, da sie fürchten, erneut zum Opfer zu werden, oder einfach deswegen, weil sie ihre Rechte nicht kennen, können durch diese kurze Fristen ihre Chancen beschnitten werden, einen Anspruch durchzusetzen, und dadurch könnte ihr Zugang zur Justiz eingeschränkt werden.
57. Die EU-Richtlinien verpflichten Deutschland ferner zu gewährleisten, dass alle Rechtsvorschriften, Verordnungen und Verwaltungsbestimmungen, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehen, abgeschafft werden. Der Kommissar ermutigt die Bundes-, Länder- und Kommunalbehörden, die entsprechenden rechtlichen und administrativen Bestimmungen zu überprüfen, um festzustellen, ob sie dem neuen Gesetz entsprechen. Dies ist besonders relevant, wenn es um die Zugangskriterien zu bestimmten Berufen wegen des Alters, einer Behinderung, der Religion oder der Weltanschauung beziehungsweise moralischer Faktoren geht, die die sexuelle Identität einschließen. Der Kommissar unterstreicht, dass angesichts dessen, dass eine ungerechtfertigte Differenzierung auf der Grundlage der Staatsangehörigkeit auf eine indirekte ethnische Diskriminierung hinauslaufen kann, der Rechtfertigung von Staatsangehörigkeitskriterien, mit denen der Zugang zu bestimmten Berufen eingeschränkt wird, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

2.1.2. Antidiskriminierungsstelle

58. Mit der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wurde im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet. Diese Stelle stellt zweifellos eine große Errungenschaft bei der institutionellen Unterstützung von Diskriminierungsopfern dar. Der Kommissar ist der Auffassung, dass die Unabhängigkeit, Erreichbarkeit und Personalausstattung dieser Stelle sowie die Unterrichtung der Öffentlichkeit über ihre Aufgaben wesentliche Aspekte für die wirksame Erfüllung ihres Mandats sind.

59. Die Unabhängigkeit des Leiters der Stelle ist mit der von Richtern vergleichbar. Allerdings ist seine Amtszeit an die Legislaturperiode des Bundestags gebunden, und er wird vom Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ernannt. Angesichts dessen, dass die Stelle kein politisches Mandat hat, sollte die Amtszeit des Leiters nach Auffassung des Kommissars nicht mit der Legislaturperiode zusammenfallen, sondern auf eine bestimmte Zahl von Jahren festgesetzt werden sollte. Ein anderes Ernennungsverfahren, beispielsweise durch den Bundestag oder den Bundespräsidenten, sollte ebenfalls als Maßnahme zur Stärkung der Unabhängigkeit der Stelle erwogen werden.

60. Nach dem Gleichbehandlungsgesetz hat die Stelle die Aufgabe, Menschen, die sich zur Durchsetzung ihres Rechtes auf Nichtdiskriminierung an die Stelle wenden, unabhängig zu unterstützen. Die Stelle soll insbesondere Privatpersonen über ihre Rechte und die gesetzlichen Verfahren informieren. Innerhalb ihrer Zuständigkeiten darf die Stelle Menschen rechtlich beraten kann, die behaupten, Diskriminierungsopfer zu sein. Die Stelle kann von privaten und öffentlichen Akteuren Informationen zu mutmaßlichen Diskriminierungsfällen anfordern. Sie hat jedoch nicht die Befugnis, weitere Untersuchungen durchzuführen oder Strafmaßnahmen zu verhängen, wenn notwendige Informationen zurückgehalten werden.

61. Um zu gewährleisten, dass Diskriminierungsopfer überall in Deutschland beraten werden können, kommt es entscheidend darauf an, dass die neue Stelle eng mit anderen Beratungs- und Beschwerdegremien sowie mit den Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenarbeitet. Der Kommissar begrüßt die Einsetzung eines Beirats, der sich aus unabhängigen Experten und Vertretern der im Bereich der Nichtdiskriminierung tätigen Organisationen der Zivilgesellschaft zusammensetzt. Er unterstreicht, dass die Ernennung einzelner Mitglieder für den Beirat transparent und auf der Grundlage objektiver Kriterien erfolgen sollte, um eine hinreichend repräsentative Zusammensetzung zu gewährleisten.

2.2. Gleichbehandlung von Frauen und Männern
2.2.1. Gleiche Bezahlung für Arbeit mit gleichem Wert

62. Obwohl der Grundsatz der gleichen Bezahlung für Frauen und Männer seit Jahrzehnten in der deutschen Gesetzgebung verankert ist, zählt das Lohngefälle zwischen den beiden Geschlechtern nach wie vor zu den höchsten in den EU-Mitgliedstaaten. In dem ersten Datenbericht der Regierung über die Gleichberechtigung von Männern und Frauen aus dem Jahr 2005 wird darauf hingewiesen, dass Frauen bei ungefähr gleicher Arbeitszeit etwa 20 % weniger als Männer verdienen. Die Gründe für diese mit dem Geschlecht zusammenhängende Ungleichheit sind mannigfaltig und beinhalten die geschlechtsspezifische Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt, unterschiedliche Karriereaussichten wegen Kindererziehung und einen höheren Anteil von Frauen in Teilzeit- und Niedriglohnjobs.

63. In Anbetracht dessen, dass der Großteil der Löhne durch Tarifvereinbarungen festgelegt wird, tragen die Sozialpartner einen wichtigen Teil der Verantwortung, wenn es darum geht, die Einkommenskluft zwischen Männern und Frauen zu verringern. Die Tatsache, dass Frauen im Niedriglohnsektor stark überrepräsentiert sind, trägt zu dem fortbestehenden Lohngefälle bei. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass die Löhne im Sozial- und Gesundheitswesen, in dem mehrheitlich Frauen arbeiten, im Vergleich zu anderen Sektoren im Allgemeinen zu niedrig sind.

64. Der Kommissar ist der Auffassung, dass es zur Überwindung der stagnierenden großen Kluft bei den Löhnen von Männern und Frauen in Deutschland zusätzlicher und innovativerer politischer Maßnahmen bedarf. Dies ist besonders wichtig, da sich niedrige Einkommen für Frauen bei Arbeitslosigkeit und Rente verstärkt negativ auswirken. Obwohl der Staat nur einen begrenzten Einfluss auf die Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern ausüben kann, trägt er die Gesamtverantwortung für den Rahmen, innerhalb dessen die Verhandlungen möglich sind. Um eine geschlechtsneutrale Arbeitsplatzbewertung und Einstufungssysteme zu gewährleisten, bestärkt der Kommissar die Bundesregierung darin, die Verfahrensregeln für die Anwendung des

Grundsatzes der gleichen Bezahlung für Arbeit mit gleichem Wert zwischen den verschiedenen Beschäftigungssektoren näher zu präzisieren. Die Sozialpartner wären bei der Aushandlung von Tarifvereinbarungen an diese spezifischeren Regelungen gebunden.

65. Eine weitere wichtige Möglichkeit zur Überwindung der geschlechtsbedingten Kluft wäre die Einführung des Rechtes auf Kollektiv- oder Sammelklagen. Klägergruppen können sektorbezogene Lohnunterschiede leichter anfechten als einzelne Beschäftigte. Obwohl die Gewerkschaften derzeit die Tarifvereinbarungen anfechten können, tun sie dies normalerweise nicht, da sie in erster Linie die Tarifvereinbarungen ausgehandelt haben. Der Kommissar bekräftigt ferner seine Empfehlung, Deutschland möge sich dem Mechanismus der Kollektivbeschwerde der Europäischen Sozialcharta anschließen, der es nicht nur Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften, sondern auch bestimmten nichtstaatlichen Organisationen erlaubt, sich an das Europäische Komitee für Soziale Rechte zu wenden.

2.2.2. Gewalt gegen Frauen

66. Gewalt gegen Frauen kann als Extremform der Diskriminierung betrachtet werden, die unausgewogene Machtstrukturen, Unterdrückung und Erniedrigung widerspiegelt. In Deutschland wird das Problem der häuslichen Gewalt und der Gewalt gegen Frauen mit Migrationshintergrund in der Öffentlichkeit und Politik deutlich wahrgenommen. 1999 verabschiedete die Bundesregierung einen umfassenden Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Ein Folgeaktionsplan wird derzeit ausgearbeitet und soll im Laufe des Jahres 2007 in Kraft treten.

67. Der Kommissar begrüßt, dass Maßnahmen gegen häusliche Gewalt zunehmend Täterprogramme beinhalten, die gezielte Kurse für Männer vorsehen, die Gewalt gegen ihre Partnerin anwenden. Fast alle Bundesländer haben Gesetze beschlossen, die den Erlass von einstweiligen Verfügungen ermöglichen, mit denen es denjenigen, die häusliche Gewalt ausüben, untersagt wird, sich in die Nähe des Aufenthaltsorts des Opfers zu begeben. Der Kommissar ermutigt diejenigen Länder, die solche Vorschriften noch nicht verabschiedet haben, dies zu tun.

68. Mehrere Organisationen, die Menschen mit Behinderungen vertreten, machten den Kommissar auf die große Zahl von behinderten Mädchen und Frauen aufmerksam, die Opfer sexueller Gewalt werden. Der Kommissar bekundet seine Sorge über diesen Sachverhalt und ruft dazu auf, mehr Forschungen durchzuführen, um Ausmaß und Mechanismen eines solchen Missbrauchs zu ermitteln, damit gezielte Strategien für einen wirksameren Schutz entwickelt werden können. Die Einrichtungen zur Unterstützung der Opfer und Beratungsdienste sollten dafür sorgen, dass sie sich auch angemessen um Frauen und Mädchen mit Behinderungen kümmern können. Die deutschen Behörden haben den Kommissar davon in Kenntnis gesetzt, dass der zweite Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, der im Sommer 2007 in Kraft treten wird, auf die Lage von Frauen mit Behinderungen besonders hinweisen wird.

69. Die Mitarbeiter des Büros des Kommissars besuchten ein Frauenhaus in Berlin. Das Frauenhaus bietet eine breite Palette von Maßnahmen zur Unterstützung von Opfern häuslicher Gewalt, Zwangsheirat und Menschenhandel an. Ein besonders positiver Aspekt dieses Hauses war die Tatsache, dass die Frauen ihre Kinder mitbringen können, um die sich besonders ausgebildete Mitarbeiter kümmern. Einer der 24 Räume war auch behindertengerecht

ausgestattet. Der Kommissar unterstreicht, wie wichtig es ist, dass Frauen, die Opfer von Gewalt sind, Unterstützungsdienste zur Verfügung stehen, und ruft die deutschen Behörden auf, die derzeitige Lage dahin gehend zu überprüfen, dass in allen Bundesländern und in jeder Kommune ein ausreichendes Angebot zur Verfügung steht.

2.3. Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen
2.3.1. Beschäftigung

70. Die Verabschiedung des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs im Jahr 2001 und des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jahr 2002 stellte einen Paradigmenwechsel im deutschen Behindertenrecht dar. Statt den Schwerpunkt auf Fürsorge und Wohlergehen zu legen, soll mit den neuen Rechtsvorschriften die Selbstbestimmung durch Ansprüche gewährleistet werden, die auf eine volle Teilhabe in allen Gesellschaftsbereichen abzielen.

Das neu verabschiedete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz bietet Menschen mit Behinderungen einen größeren Schutz in Arbeitsangelegenheiten und stärkt gleichzeitig ihre Position in alltäglichen Geschäftsvorgängen, insbesondere im Bereich des Abschlusses privatrechtlicher Verträge und auch von Versicherungsverträgen weiter. In Deutschland gibt es eine breite Palette verschiedener Begünstigungen für die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt. Behindertenverbände behaupten jedoch, dass die Wirklichkeit nicht den gesetzlichen Normen entspreche.

71. Menschen mit Behinderungen sind von der schwierigen Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt besonders betroffen. Obwohl derzeit nur unvollständige Daten zur allgemeinen Arbeitslosenquote von behinderten Menschen erhoben werden17, behaupten die Interessengruppen von Behinderten, dass die spezifische Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen erheblich höher ist als in der übrigen Bevölkerung und dass die Bundesagentur für Arbeit auf diese besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppe bislang nicht in angemessener Weise reagiert. Außerdem haben die Vertreter der Behinderten darauf hingewiesen, dass sich durch Hartz IV18 und andere damit zusammenhängende Gesetze die Lage von Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen verschlechtert habe, weil Leistungen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Vermittlungsaktivitäten eingeschränkt worden seien. Der Kommissar betont, dass politische Maßnahmen, die Kürzungen der Sozialleistungen mit sich bringen, welche behinderte Menschen unverhältnismäßig stark betreffen, zu einer indirekten Diskriminierung führen können. Er schlägt vor, solche Maßnahmen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Behinderte im Voraus zu prüfen. Die deutschen Behörden haben dem Kommissar mitgeteilt, dass Deutschland im Rahmen der Lissabonner Strategie zugesagt hat, die Schere zwischen der Arbeitslosenquote von Menschen mit schweren Behinderungen und der allgemeinen Arbeitslosenquote zu verringern.

72. Öffentliche und private Arbeitgeber tragen eine wichtige Verantwortung für die Bereitstellung von Schulungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Behinderte. Nach deutschem Recht müssen private und öffentliche Arbeitgeber mit einer Beschäftigtenzahl von über 20 5 % ihrer Arbeitsplätze für Schwerbehinderte vorsehen.19 Obwohl sich viele private Arbeitgeber dafür entscheiden, eine monatliche Ausgleichsabgabe zu zahlen, anstatt die 5 %-Quote zu erfüllen, wurde diese Gesetzesvorschrift zu einem wichtigen Instrument für die Teilhabe von Schwerbehinderten. Die Arbeitslosenquote für diese Bevölkerungsgruppe liegt im Vergleich zur übrigen Bevölkerung jedoch nach wie vor über dem Durchschnitt. Die Diskriminierung von Behinderten im Zusammenhang mit der Aufnahme einer Beschäftigung hängt oft damit zusammen, dass die eingeschränkten Fähigkeiten und besonderen Talente der Bewerber nur eingeschränkt wahrgenommen werden. Der Kommissar ist der Auffassung, dass gezielte Aufklärungsmaßnahmen dazu beitragen können, die Vorbehalte gegen die Einstellung von Behinderten abzubauen. Seiner Meinung nach können die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten.

2.3.2. Bildung

73. Die volle Eingliederung in die Gesellschaft bedeutet auch, dass behinderte Kinder Zugang zur allgemeinen Erziehung haben. Der Aktionsplan für Menschen mit Behinderungen des Europarats ruft zu gleichberechtigtem Zugang zur Bildung als Grundvoraussetzung für die Gewährleistung der Eingliederung in die Gesellschaft sowie der Unabhängigkeit für Menschen mit Behinderungen auf.20 Die Erziehung von Kindern mit Behinderungen fällt in die Zuständigkeit der Länder, wodurch sie zu den Hauptakteuren für die Gewährleistung des gleichberechtigten Zugangs zum regulären Schulsystem für alle Kinder werden.

74. Die Integrationsrate von behinderten Kindern in die allgemeine Schulbildung schwankt zwischen den sechzehn Bundesländern erheblich. Die neuesten Statistiken zeigen, dass nur 12 % aller Kinder, die wegen ihrer Behinderung einer besonderen Betreuung bedürfen, integrierte Klassen an Regelschulen besuchen. Unter Berücksichtigung dessen, dass der Besuch von Sonderschulen für behinderte Kinder eher die Ausnahme als die Regel sein sollte, hält der Kommissar diese niedrige Integrationsrate für besonders bedauerlich. Obwohl der Trend für die Einbeziehung in die allgemeine Schulbildung generell nach oben zeigt, befürchten Experten, dass diese positive Entwicklung durch knappe Haushaltsmittel verlangsamt oder sogar aufgehalten könnte.

75. Der Kommissar betont, dass behinderte Kinder die Chance haben sollten, in angemessener Weise gefördert zu werden, um die allgemeine Schule zu durchlaufen. Nur in den Fällen, wo von Experten festgestellte sonderpädagogische Bedürfnisse im Rahmen der allgemeinen Schule trotz Fördermaßnahmen nicht erfüllt werden können, sollte auf Sonderschulen zurückgegriffen werden.

76. Derzeit haben behinderte Kinder nicht das gesetzliche Recht auf eine allgemeine Beschulung. Die Aufnahme von behinderten Kindern an allgemeinen Schulen hängt von der Voraussetzung ab, dass sie praktisch möglich und finanziell vernünftig ist. Häufig führt das dazu, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in Sonderschulen untergebracht werden, da es beispielsweise keinen behindertengerechten Zugang oder keine Finanzmittel für spezielle pädagogische Fördermaßnahmen gibt. An allgemeinen Schulen gibt es keine allgemeine Regelungen für Integrationsmaßnahmen analog zu den detaillierten Regelungen für die Finanzierung und Kostenträger von Sonderschulen.

77. 1997 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass eine gesonderte, aber gleiche Beschulung von behinderten Kindern an sich keine verfassungswidrige Benachteiligung darstellt.

Eine solche verfassungswidrige Behandlung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nur dann gegeben, wenn eine Beschulung an allgemeinen Schulen, die die besonderen Bedürfnisse unterstützen, sowohl möglich als auch finanziell machbar ist. Deutschland muss jedoch gewährleisten, dass die Sonderschulerziehung tatsächlich gleiche und angemessene Bildungschancen bietet. Die Tatsache, dass 80 % der Absolventen von Sonderschuleinrichtungen die Schule ohne die entsprechenden Abschlussprüfungen verlassen, weist auf erhebliche Defizite in diesem Bereich hin.21 In dem Verwaltungsverfahren zur Ermittlung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf22 sollte geprüft werden, ob die besonderen Bedürfnisse der Schüler durch weniger ausgrenzende Maßnahmen im Rahmen der allgemeinen Beschulung befriedigt werden können. Die Tatsache, dass Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus armen Familien in Sonderschulen stark überrepräsentiert sind, weist auch auf ungleiche Auswahlverfahren hin. Der Kommissar ist nicht überzeugt, dass den besonderen Bedürfnissen dieser Schüler am besten durch Unterricht der Sonderschule Rechnung zu tragen ist. Er betont ferner, dass staatliche und private Schulen Kindern mit eingeschränkter Mobilität, auch denjenigen, die im Rollstuhl sitzen, zugänglich gemacht werden sollten.

78. Der Kommissar ist der Auffassung, dass eine für alle gleiche Schulerziehung am besten durch ein einheitliches Bildungssystem erreicht werden kann, in dem den besonderen Bedürfnissen einiger Kinder am besten durch konkrete Unterstützung oder pädagogische Maßnahmen Rechnung getragen werden kann. Die volle Einbeziehung in das Bildungssystem beinhaltet natürlich nicht nur die Zeit der Schulpflicht, sondern auch die Vorschule sowie die berufliche Aus- und Hochschulbildung. Der Kommissar unterstreicht, dass ein alle einbeziehendes Bildungssystem mit einer ausreichenden Zahl an qualifizierten Lehrern das beste Mittel zur Förderung einer Gesellschaft ist, an der Behinderte in vollem Umfang teilhaben können.

3. Maßnahmen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
3.1. Allgemeine Maßnahmen

79. 2005 war die Zahl der registrierten rechtsextremen Straftaten mit 15 361 Vorfällen die höchste seit Einführung des neuen Datenerhebungssystems im Jahr 2001.23 Im selben Jahr erreichte die Zahl der Gewaltverbrechen in dieser Kategorie mit 1 034 Fällen einen Spitzenwert. Die vorläufigen Daten für das Jahr 2006 weisen ebenfalls auf einen deutlichen Anstieg rechtsextremer und fremdenfeindlicher Straftaten hin.24 Besonders besorgniserregend ist, dass sich die Zahl fremdenfeindlicher Gewalt- und Straftaten im Vergleich zu 2005 um rund 32 % gestiegen zu sein scheint.

80. In einer vor kurzem veröffentlichten Studie über rechtsextreme Einstellungen in Deutschland wird darauf hingewiesen, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus nicht als Problem abgetan werden sollten, das nur rechtsextreme Gruppen wie Skinheads oder Neonazis betrifft.25 Diese Phänomene sollten vielmehr als soziale Probleme, die alle gesellschaftlichen Gruppen angehen, verstanden werden. Während in der Verbrechensstatistik junge Männer als Haupttäter rassistischer Gewalttaten auftauchen, weist die Studie auf den hohen Prozentsatz von Rentnern und Menschen kurz vor dem Rentenalter mit einer rassistischen Gesinnung hin.

81. Nach Auffassung des Kommissars, muss daher unbedingt eine politische Antwort auf Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus konzipiert werden, die breite Wirkung entfaltet und alle Bevölkerungsteile einbezieht. Derartige politische Maßnahmen können eine Menschenrechts- und Demokratieerziehung, die Förderung von Aktivitäten der Zivilgesellschaft gegen demokratiefeindliche Tendenzen und insbesondere einen ernsthaften politischen Diskurs zu Fragen wie Migration, Asyl, Terrorbekämpfung und Integration beinhalten. Menschenrechts- und Demokratieerziehung an Schulen und in der Erwachsenenbildung sowie bei der Ausbildung von Beamten, Polizisten, Sozialarbeitern und in medizinischen Berufen ist ein wichtiges Werkzeug zur Förderung von Toleranz und Respekt in einer pluralistischen Gesellschaft.

82. Der Kommissar betrachtet lokale Organisationen der Zivilgesellschaft als Hauptakteure, wenn es darum geht, demokratiefeindliche Tendenzen in einer Gemeinschaft zu ermitteln, um gezielte Antworten zu entwickeln. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz26 wurde von der Bundesregierung im Jahr 2000 zur Förderung der Koordinierung und Finanzierung von Initiativen der Zivilgesellschaft gegen Gewalt und Intoleranz gegründet. Seitdem haben sich 1 300 Initiativen zur Mitarbeit an diesem Netz bereit erklärt, was zu einer Vielzahl von Aktivitäten wie Einrichtungen zur Unterstützung von Opfern27 und mobilen Beratungsteams geführt hat, die Kommunen sowie Jugendgruppen und andere aktive Interessenträger bei der Entwicklung von Reaktionen auf rassistische und fremdenfeindliche Entwicklungen in Kommunen beraten.28

83. Mit dem Aktionsprogramm "Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus", das von 2001 bis 200629 durchgeführt wurde, wollte die Bundesregierung ihre Priorität der Bekämpfung des Rechtsextremismus umsetzen. Das Programm war in erster Linie vorbeugender und pädagogischer Natur und zielte auf die Förderung und Unterstützung demokratischen Verhaltens, gesellschaftlichen Engagements, der Toleranz und liberalen Denkens unter Jugendlichen. Es umfasste über 4 500 Projekte, Initiativen und Maßnahmen, für die die Bundesregierung einen Etat in Höhe von 192 Mio. EUR bereitstellte. Ein auf Dauer angelegtes Nachfolgeprojekt "Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus", das die in den Vorgängerprogrammen entwickelten Präventionsstrategien verstärken soll, wurde im Januar 2007 mit einem Jahresetat von 19 Mio. EUR auf den Weg gebracht. Zu den Schwerpunkten des neuen Programms gehören die Förderung lokaler Aktionspläne und themenbezogener Modellprojekte, die die Auseinandersetzung mit historischem und aktuellem Antisemitismus, Arbeit mit rechtsextremistisch gefährdeten Jugendlichen, Präventions- und Bildungsangebote für die Einwanderungsgesellschaft und früh ansetzende Prävention vorsehen. Ein weiteres vom Bundestag verabschiedetes Programm mit einem Jahresetat in Höhe von 5 Mio. EUR wird im Juli 2007 anlaufen und der Einrichtung von Beraternetzwerken dienen, die kurzfristig einsatzfähige mobile Interventionsteams zur Bekämpfung rechtsextremistischer Krisensituationen bereitstellen.

84. Der Kommissar begrüßt die Initiativen der Bundesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. In diesem Zusammenhang unterstreicht der Kommissar den wichtigen Beitrag, den Bürgerinitiativen bei der Feststellung und Reaktion auf demokratiefeindliche Entwicklungen in den Kommunen leisten können. Er bestärkt daher die Bundesregierung mit Nachdruck darin, Organisationen zur Unterstützung von Opfern und mobile Beratungseinrichtungen weiter finanziell zu unterstützen. In vielen Fällen können diese Organisationen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen besser erreichen als staatliche Stellen. Natürlich liegt die Verantwortung, auf rassistische und fremdenfeindliche Bewegungen sowie auf einzelne Vorfälle angemessen zu reagieren, nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Ländern und den Kommunen.

85. Mit dem neuen Regierungsprogramm soll die Beteiligung der Kommunen an der Bekämpfung des Rechtsextremismus auf lokaler Ebene verstärkt werden, indem ihnen die Möglichkeit eröffnet wird, konkrete Mittel zu beantragen. Angesichts dessen, dass einige Kommunen sich möglicherweise der Probleme im Zusammenhang mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in ihren Gemeinden nicht bewusst sind oder sie gar nicht bekämpfen wollen, müssen Mittel für Initiativen der Bürgergesellschaft zurückbehalten werden mit denen auf solche gefährlichen gesellschaftlichen Entwicklungen aufmerksam gemacht werden soll.

86. Der Kommissar begrüßt die Initiative des Bundesinnenministers, eine Islamkonferenz einzuberufen, auf der die wichtigsten Vertreter der 3,2 Millionen in Deutschland lebenden Muslime und deutscher Stellen zu einem kontinuierlichen Dialog zusammenkommen. Die Konferenz kann auch als Forum zur Auseinandersetzung mit islamfeindlichen Entwicklungen und zur Erörterung der entsprechenden politischen Reaktionen dienen. Der Kommissar betont, dass ein solches Forum alle Gruppen einschließen und hinreichend repräsentativ für die in Deutschland lebenden muslimischen Gemeinschaften sein sollte, um einen sinnvollen Meinungsaustausch zu ermöglichen.

3.2. Rechtsvorschriften gegen rassistisch motivierte Straftaten

87. Das deutsche Strafgesetzbuch untersagt die Aufstachelung zu Hass und Gewalt gegen Teile der Bevölkerung, auch durch Verbreitung von Publikationen oder Fernsehsendungen. Ferner wird die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust unter Strafe gestellt. Die Verbreitung von Propaganda durch verfassungsfeindliche Organisationen sowie die Benutzung ihrer Kennzeichen ist ebenfalls untersagt. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat jedoch wiederholt darauf hingewiesen, dass es in Deutschland nach wie vor keine Rechtsvorschrift gibt, wonach rassistische Beweggründe bei der Urteilsfindung ausdrücklich als strafverschärfend zu werten sind.30 Es trifft zu, dass es im Strafgesetzbuch eine allgemeine Bestimmung gibt, wonach die Motivation und die Ziele des Straftäters sowie dessen Geisteszustand bei der Tat bei der Festsetzung des Strafmaßes berücksichtigt werden müssen. Während seines Besuchs versicherten mehrere Richter und Staatsanwälte dem Kommissar, dass rassistische Gründe für die Straftat bei der Festsetzung des Strafmaßes im Einklang mit der allgemeinen Bestimmung oft berücksichtigt würden. Der Kommissar ist dennoch der Auffassung, dass ein ausdrücklicher Hinweis auf rassistische Gründe als strafverschärfender Faktor zu einer systematischeren und einheitlicheren Verhängung höherer Strafen für rassistische Gewalttaten führen würde.

88. Das vor kurzem verabschiedete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz enthält die ebenso wichtige symbolische Botschaft, dass Benachteiligung aus Gründen der Rasse nicht nur in den Beziehungen zwischen dem Staat und dem Einzelnen, sondern auch zwischen Einzelpersonen verboten ist. Die öffentliche Debatte in den vier Jahren der Ausarbeitung, die sich oft auf die Frage konzentrierte, ob das Benachteiligungsverbot die Wahlfreiheit des Einzelnen in Bezug auf seinen Vertragspartner einschränken sollte, zeigte eindeutig, wie wichtig es war, Rechtsvorschriften zum Verbot der Benachteiligung einzuführen.

3.3. Datenerhebung zu Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Formen gruppengestützten Hasses

89. Die Erhebung amtlicher Daten zu rassistischen und fremdenfeindlichen Straftaten wurde 2001 mit der Einführung eines besonderen Meldesystems für politisch motivierte Straftaten erheblich verbessert. Obwohl diese Polizeistatistik für die Analyse und Überwachung rassistischer Gewalttaten sehr wertvoll ist, deckt sie die Grauzone nicht gemeldeter Zwischenfälle und jener Taten nicht ab, die einen deutlich rassistischen Hintergrund haben, aber nicht als Straftaten gelten.

90. Der Kommissar ist demzufolge der Auffassung, dass die von nichtstaatlichen Organisationen und Beratungszentren erhobenen Daten für die Ausweitung des Geltungsbereichs von Informationen zu rassistischen und fremdenfeindlichen Vorfällen von besonderer Bedeutung sind. In Deutschland gibt es jedoch bislang noch keine zentrale Datenbank, die die von Opfern oder Zeugen bei Beratungsstellen gemeldeten rassistischen oder fremdenfeindlichen Vorfälle erfasst. Der Kommissar schlägt vor, die neu geschaffene Antidiskriminierungsstelle als Plattform zur Erhebung qualitativer und quantitativer Daten zu Diskriminierungsfällen zu nutzen; dies schließt auch Informationen zu Opfern und Tätern sowie zu den Umständen ein, unter denen die Diskriminierung geschieht.

3.4. Opfer von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Formen gruppengestützten Hasses

91. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat festgestellt, dass Angehörige jüdischer und muslimischer Gemeinschaften sowie der Gemeinschaft der Roma und Sinti und anderer äußerlich erkennbarer Minderheiten besonders Zielscheibe antisemitischer, fremdenfeindlicher und rassistisch motivierter Gewalt und Diskriminierung in Deutschland sind.31 Aus Erhebungen und Unterlagen nichtstaatlicher Organisationen geht ebenfalls hervor, dass Asylantragsteller zu den Gruppen gehören, die am stärksten durch rassistische Angriffe gefährdet sind. Besondere Sorge bereitet, dass derartige Vorfälle in den Gebieten, in denen rechtsextreme Parteien in den Parlamenten vertreten sind, verstärkt aufzutreten scheinen. Laut den Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten gehen die Täter in diesen Regionen selbstbewusster vor als andernorts.32

92. Politische Diskussionen über Einbürgerungs- und Integrationsgesetze und insbesondere über die Asylverfahren können die öffentliche Wahrnehmung von Zuwanderer und Asylbewerbern entscheidend beeinflussen. Beispielsweise führt die Tatsache, dass im Zusammenhang mit den Asylgesetzen der Schwerpunkt auf die Verhinderung des Asylmissbrauchs gelegt wird, dazu, in der Bevölkerung Misstrauen und Verdacht gegen diese Gruppe zu nähren. Die derzeitige Debatte über Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ist ein weiteres sensitives Thema, das die Meinung der Öffentlichkeit über in Deutschland lebende Muslime möglicherweise negativ beeinflusst. Der Kommissar ruft alle Entscheidungsträger und Politiker auf, die Stigmatisierung von Minderheiten ungeachtet dessen, ob es sich um in Deutschland lebende Muslime, Asylbewerber, Zuwanderer ohne Papiere oder andere religiöse und ethnische Minderheiten handelt, zu vermeiden.

93. In einer vor kurzem durchgeführten Erhebung zu rechtsextremen Einstellungen wurde berichtet, dass 34,9 % derjenigen, die geantwortet haben, der Aussage zustimmen, dass Ausländer wieder in die Heimat geschickt werden sollten, wenn Arbeitsplätze in Deutschland knapp werden.33 Die Erhebung zeigt, dass wesentliche Teile der Bevölkerung die positiven Aspekte einer pluralistischen und alle Gruppen einschließenden Gesellschaft noch nicht verinnerlicht haben. Der Kommissar unterstreicht, wie wichtig es ist, Deutschlands Rolle als Einwanderungsland zu beleuchten und den positiven Beitrag der Einwanderer zur deutschen Gesellschaft ausdrücklich zu würdigen. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit stellen erhebliche Integrationshindernisse dar, die Maßnahmen und eine gute Zusammenarbeit zwischen den Bundes-, Regional- und Kommunalbehörden sowie Initiativen der Zivilgesellschaft in vielen Bereichen erfordern. Nach Auffassung des Kommissars sollte sich die Tatsache, dass fast ein Fünftel der in Deutschland lebenden Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat, auch in der Zusammensetzung des öffentlichen Dienstes einschließlich der Polizei widerspiegeln. Die Förderung der kulturellen und ethnischen Vielfalt im öffentlichen Dienst kann sich sehr positiv auf die öffentliche Wahrnehmung von Einwanderern und ethnischen Minderheiten auswirken.

4. Schutz nationaler Minderheiten

94. Deutschland ist Vertragspartei des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten und der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. In Übereinstimmung mit dem Bundesrecht und dem Rahmenübereinkommen erkennt Deutschland die Dänen, Friesen, Sorben und Roma/Sinti als nationale oder ethnische Minderheiten an. Es ist ferner festgelegt, dass Angehörige dieser nationalen Minderheiten deutsche Staatsangehörige sein und traditionell in Deutschland in ihren Siedlungsgebieten wohnen müssen. Nur für die Roma/Sinti, die über fast alle Bundesländer verstreut sind, gilt das Erfordernis nicht, dass sie in einem bestimmten Siedlungsgebiet wohnen müssen. Nach der Charta fördert Deutschland den Gebrauch der Sprachen Dänisch, Nord- und Saterfriesisch, Nieder- und Obersorbisch, Romani sowie die Regionalsprache Niederdeutsch. Aufgrund des beschränkten geographischen Anwendungsbereichs und im Hinblick auf die Überwachungstätigkeit des Beratenden Ausschusses für das Rahmenübereinkommen34 konzentrierte sich der Kommissar bei seinem Besuch auf die Lage der Roma/Sinti und der sorbischen Minderheiten.

4.1. Persönlicher Anwendungsbereich

95. Der Beratende Ausschuss für das Rahmenübereinkommen hat den deutschen Behörden wiederholt empfohlen, die Einbeziehung anderer Gruppen, die nicht die Kriterien der Staatsangehörigkeit und des traditionellen Wohnorts im Rahmen des Übereinkommens erfüllen, auf der Grundlage der einzelnen Artikel in Erwägung zu ziehen. Während das Ministerkomitee es für wünschenswert hält, den Dialog über eine mögliche Ausweitung des Anwendungsbereichs fortzusetzen, hat die Venedigkommission die Mitgliedstaaten ermutigt, nötigenfalls eine Ausweitung des Schutzes der Rechte und Einrichtungen für nichtdeutsche Staatsangehörige auf der Grundlage der einzelnen Artikel in Betracht zu ziehen.35 Während des Besuchs wiesen die deutschen Behörden darauf hin, dass sie nicht beabsichtigten, ihre Erklärung zum persönlichen Anwendungsbereich des Rahmenübereinkommens zu überdenken. Sie betonten, dass klar zwischen traditionell in Deutschland wohnhaften nationalen Minderheiten einerseits und vor kurzem eingetroffenen Zuwanderer andererseits unterschieden werden müsse.

96. Der Kommissar ist der Auffassung, dass eine solche Unterscheidung zwischen traditionellen Minderheiten und Zuwanderer in der Praxis zu Schwierigkeiten führen kann. Dies trifft vor allem auf die Roma/Sinti zu. Da sie nicht in einem traditionellen Siedlungsgebiet wohnen müssen, erscheint es wenig vernünftig, dass die den Roma/Sinti in den einzelnen Bundesländern zur Verfügung stehenden Dienstleistungen von seit langem ansässigen Roma/Sinti-Bewohnern nicht in Anspruch genommen werden können, die nicht deutsche Staatsangehörige sind. Beispielsweise sollte es auch Roma/Sinti-Kindern deutscher und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit möglich sein, an bestimmten Schulen in Deutschland zusätzlich Romani-Unterricht zu erhalten oder an Aktivitäten teilzunehmen, bei denen Romani gesprochen wird.36 Das Gleiche gilt für die den Roma in vielen Bundesländern angebotenen besonderen Beratungsdienste. Der Kommissar ruft demzufolge die deutschen Behörden auf, die Kriterien für den persönlichen Anwendungsbereich nationaler Minderheiten pragmatisch und vernünftig anzuwenden, damit es zu keiner unnötigen Ungleichbehandlung kommt.

4.2. Pflichten der Bundes- und Länderbehörden

97. Der Schutz nationaler Minderheiten ist sowohl im Bundesrecht als auch in den einschlägigen Ländergesetzen verankert. Aufgrund der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sind in der Praxis oft die Länder für den Schutz und die Förderung nationaler Minderheiten zuständig. Beispielsweise fällt als Ergebnis der derzeitigen Föderalismusreform die Bildung vollständig in die Zuständigkeit der Länder. Die Bundesbehörden unterrichteten den Kommissar darüber, dass es dem Bund dadurch nicht möglich ist, die Bildung von Angehörigen nationaler Minderheiten zu unterstützen.

98. Der Kommissar unterstreicht die Tatsache, dass ungeachtet der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern die deutschen Bundes- und Länderbehörden für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus internationalen Übereinkünften zum Schutz nationaler Minderheiten zuständig sind. Da es in den meisten Bundesländern Roma/Sinti-Minderheiten gibt, ruft der Kommissar die Bundesbehörden auf, im Zusammenwirken mit den Länderbehörden besonders darauf zu achten, dass die Rechte der Roma/Sinti überall in Deutschland in gleicher Weise geschützt werden.

4.3. Erfassung von Daten zur Lage nationaler Minderheiten

99. Deutschland nimmt zum Teil wegen seiner Geschichte eine sehr restriktive Haltung zur Erfassung von Daten zur Lage nationaler Minderheiten ein, insbesondere was die amtliche Statistik angeht. Zwar unterstützt der Kommissar naturgemäß den Schutz sensitiver persönlicher Daten, doch hält er es auch für notwendig, dass sich die Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung nationaler Minderheiten auf zuverlässige Daten über deren soziale und wirtschaftliche Lage stützen. Dies ist besonders bei der Verhinderung von Diskriminierung aus ethnischen oder rassischen Gründen und der Förderung der Gleichberechtigung für Angehörige von Minderheiten wichtig. Außerdem sind die Mitgliedstaaten nach der EU-Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (2000/43/EG) verpflichtet zu gewährleisten, dass unabhängige Untersuchungen über die Diskriminierung durchgeführt werden.

100. Der Kommissar ist überzeugt, dass Daten zur Lage der Minderheiten unter gebührender Beachtung des Schutzes der Privatsphäre und der Entscheidungsfreiheit der Einzelnen, ob sie als Mitglieder einer nationalen Minderheit betrachtet werden wollen, erhoben werden können. Die EU-Richtlinie zum Datenschutz (95/46/EG) nimmt konkret Daten aus, die anonymisiert wurden. Die amtliche Statistik sollte nicht als einziges Mittel zur Erhebung solcher Daten betrachtet werden. Der Kommissar betont, dass die Organisationen, die nationale Minderheiten vertreten, an der Erarbeitung geeigneter Methoden zur Erhebung von Daten über die jeweiligen Minderheiten beteiligt werden sollten. Während des Besuchs räumten die deutschen Bundesbehörden ein, dass alternative Methoden der Datenerhebung in diesem Bereich ins Auge gefasst werden könnten.

4.4. Lage der Roma und Sinti

101. In Deutschland leben schätzungsweise etwa 70 000 deutsche Roma und Sinti. Die Roma und Sinti in Deutschland leben nicht in einem bestimmten Siedlungsgebiet, sondern sind über die meisten Bundesländer verstreut. Viele Roma mit ausländischer Staatsangehörigkeit leben ebenfalls in Deutschland, oft mit Duldungsstatus („Duldung” – siehe unter Kapitel 6.1.3).

102. Sowohl der Beratende Ausschuss für das Rahmenübereinkommen als auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz haben berichtet, dass Roma und Sinti in Deutschland diskriminiert werden, insbesondere in den Bereichen Bildung, Beschäftigung und Wohnungswesen, sowie durch eine voreingenommene Berichterstattung der Medien.37 Organisationen, die die Roma/Sinti vertreten, haben Studien durchgeführt, in denen diese Diskriminierung belegt wird, und sie bieten Opfern von Diskriminierung Beratungsdienstleistungen an. Im Bereich der Medien hat der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma 553 Artikel gesammelt, die zwischen 1995 und 2006 veröffentlicht wurden und speziell negativ über einzelne Roma/Sinti berichten, obgleich ihr ethnischer Hintergrund offensichtlich keinen Bezug zum Thema der Berichterstattung hat. Der Zentralrat hat auch von einzelnen öffentlichen Hassreden gegen Roma/Sinti während Sportveranstaltungen und im Internet berichtet.

103. Der Kommissar ist der Auffassung, dass das neue Gleichbehandlungsgesetz bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Diskriminierung von Roma/Sinti in Deutschland einen wesentlichen Schritt nach vorne darstellt. Der Kommissar ruft jedoch die deutschen Behörden auf Bundes- und Länderebene auf, besondere Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Roma und Sinti zu ergreifen, um die Benachteiligung aufgrund der fortdauernden Diskriminierung zu beseitigen. Die zwischen dem Bundesland Rheinland-Pfalz und dem Landesverband des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma im Jahr 2005 unterzeichnete Rahmenvereinbarung zum Schutz der Roma und Sinti stellt ein erfolgversprechendes Beispiel für besondere Maßnahmen dar, die auf Länderebene ergriffen werden können. Eine Strategie auf Bundesebene zur Verbesserung der Lage der Roma/Sinti sollte ebenfalls in Betracht gezogen werden.

104. Der Kommissar fordert mit Nachdruck besondere Wachsamkeit gegen die Verbreitung negativer Klischees über Roma/Sinti in den Medien. Während sich die Journalisten in ihrer Berichterstattung an die ethischen Prinzipien und den Grundsatz der Selbstbeschränkung halten sollten, sollten die Bundes- und Länderbehörden gewährleisten, dass die Behörden und insbesondere die Polizei keine diskriminierenden Erklärungen gegenüber der Presse abgeben. Wichtig ist auch, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Geschichte und Kultur der Roma/Sinti zu schärfen, um Vorurteilen gegen sie entgegenzuwirken.

4.5. Lage der Sorben

105. In Deutschland leben schätzungsweise etwa 60 000 Sorben – zwei Drittel davon im Bundesland Sachsen und ein Drittel im Bundesland Brandenburg. In beiden Bundesländern ist der Schutz der sorbischen Sprache und Kultur in der Länderverfassung verankert. Die Kultur der Sorben wird durch die Stiftung für das sorbische Volk gefördert, die vom Bund und den Ländern

Sachsen und Brandenburg getragen wird. In beiden Bundesländern werden die Sorben offiziell durch einen Rat für sorbische Angelegenheiten vertreten, der vom jeweiligen Landesparlament auf der Grundlage eines Vorschlags der sorbischen Gemeinschaft gewählt wird.

106. Während des Besuchs brachten Vertreter der sorbischen Minderheit besondere Anliegen in Bezug auf das verfügbare Bildungsangebot auf Sorbisch sowie den Gebrauch des Sorbischen bei Behörden zum Ausdruck. Die Minderheitsvertreter betonten, dass zwar die zurückgehende Zahl sorbischer Schüler als Rechtfertigung für die Schließung von Mittelschulen in den traditionellen Siedlungsgebieten herangezogen werden könne, die Auffassung der Minderheit aber bei der Kürzung der Mittel für die Schulen nicht ausreichend berücksichtigt würde. Dies stehe im Widerspruch zu den von der Stiftung für das sorbische Volk im Vorstand durchgeführten kulturellen Aktivitäten, in dem die Sorben eindeutig vertreten seien. Die Bildungsbehörden Sachsens wiesen darauf hin, dass sorbische Schulen bereits von den normalen Mindestquoten für Schüler ausgenommen seien. Sie betonten jedoch, dass sorbische Mittelschulen geschlossen werden müssten, wenn die Zahl der Schüler so stark zurückgehe, dass ein ausreichend diversifizierter Lehrplan nicht mehr aufrechterhalten werden könne.

107. Hinsichtlich des Gebrauchs des Sorbischen bei den Behörden in den Siedlungsgebieten bedauerten die Minderheitsvertreter, dass abgesehen von den lokalen Beauftragten für sorbische Angelegenheiten wenig Behördenbedienstete tatsächlich fließend Sorbisch sprächen. Obwohl das Recht, sich schriftlich in Sorbisch an die Behörden zu wenden, grundsätzlich gewährleistet werde, sei es besonders schwierig geworden, Briefe an Behörden in Sorbisch zu schreiben, da das von der deutschen Post verwendete Postleitzahlenbuch keine sorbischen Ortsnamen mehr enthalte.

108. Der Kommissar ist der Auffassung, dass die Erhaltung eines funktionsfähigen sorbischen Schulnetzes mit Mittelschulen für die Erhaltung der sorbischen Sprache und Kultur von wesentlicher Bedeutung ist. Während wirtschaftliche und soziale Faktoren zu begründeten Kürzungen im Schulnetz führen können, ist es wichtig, dass die sorbischen Gemeinschaften aktiv an Entscheidungen betreffend das Bildungswesen auf Sorbisch mitwirken könnten. Der Kommissar ersucht die Behörden der Bundesländer Sachsen und Brandenburg, Mittel zur Stärkung der Beteiligung der sorbischen Minderheit an Entscheidungen auf diesem Gebiet zu prüfen. Der Kommissar fordert ferner die Bundes- und Länderbehörden mit Nachdruck auf, dafür zu sorgen, dass die Post weiterhin zugestellt werden kann, wenn die Ortsnamen in dem traditionellen Siedlungsgebiet auf Sorbisch angegeben sind. Bei der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungsunternehmen ist darauf zu achten, dass ihre mögliche Auswirkung auf Menschenrechtsverpflichtungen überprüft wird und gegebenenfalls Alternativen zur Erfüllung dieser Verpflichtungen gefunden werden.

5. Armut
5.1. Von Armut besonders betroffene Gruppen

109. Im Jahr 2005 hat die Bundesregierung den zweiten Armuts- und Reichtumsbericht in Deutschland veröffentlicht. Er beschreibt die soziale Lage in Deutschland lebender Menschen auf der Grundlage statistischer Daten über Einkommen, Eigentum, Beschäftigung und Bildung.38 Diese umfassenden Berichte, die einmal in jeder Legislaturperiode herausgegeben werden, stellen ein wichtiges Instrument für die Analyse der Armutsfaktoren und für die Entwicklung angemessener Antworten der Politik dar. Dem Bericht zufolge lebten im Jahr 2003 13,5 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsschwelle, verglichen mit 12,8 % im Jahr 1998. Das in dem Bericht verwendete Datenmaterial reicht bis 2004 zurück und lässt daher die Folgen der jüngsten Hartz IV-Sozialreformen unberücksichtigt. Vertreter von Wohlfahrtsverbänden schätzen, dass die tatsächliche Armutssituation in Deutschland möglicherweise weitaus gravierender ist.

110. Die anfälligsten Bevölkerungsgruppen schließen Zuwanderer, Alleinerziehende, Familien mit mehr als zwei Kindern, Langzeitarbeitslose und Kinder ein. Eine kürzlich von der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführte Studie kommt zu dem Schluss, dass etwa 8 % der Gesamtbevölkerung aufgrund schwieriger Wohnbedingungen, niedriger Einkommen, geringer Bildung oder häufiger Arbeitslosigkeit in einer prekären Situation leben.39 Der Studie zufolge leiden die von Armut betroffenen Menschen unter Resignation und einer fehlenden Perspektive, der Armut zu entkommen.

111. Der Kommissar ist besonders besorgt über die Tatsache, dass das Armutsrisiko bei Kindern im Vergleich zum Durchschnitt der übrigen Bevölkerung größer ist.40 Nach den neuesten UNICEF-Informationen ist das Armutsrisiko für Kinder in Deutschland seit Beginn der 90er-Jahre beträchtlich gestiegen. Kinder in Alleinstehendenhaushalten beziehungsweise Zuwandererfamilien sind deutlich stärker armutsgefährdet. Derzeit leben rund 2,2 Millionen Minderjährige in Familien, die Grundsicherungsleistungen erhalten, das heißt sie können nur die gesellschaftlichen Mindeststandards erfüllen, da sie einen Anspruch auf Leistungen haben, die die Grundsicherung gewährleisten sollen. Ungeachtet dieser Unterstützung sagt die Zahl etwas über den Mangel an Möglichkeiten zur Teilnahme und Leistung aus.

112. Armut schränkt nicht nur die Möglichkeiten der Kinder für die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ein, sondern wirkt sich laut jüngsten Studien gravierend auf ihre Bildungschancen aus. Kinder aus armen Familien zeigen schlechtere Leistungen in der Schule, verzeichnen eine höhere Schulabbrecherrate und sind in den Realschulen und Gymnasien deutlich unterrepräsentiert. Die kürzlich durchgeführten Studien PISA und IGLU zeigen, dass in Deutschland ein besonders enger Zusammenhang zwischen dem sozialen Hintergrund der Schüler und ihren Bildungschancen besteht. Der Grundsatz der gleichen Bildungschancen für alle Kinder ist bislang keine Wirklichkeit geworden.41

113. Niedrigere Bildungsniveaus schränken die Möglichkeiten auf dem Beschäftigungssektor ein und setzen somit die Armut von einer Generation zur nächsten fort. Nach Auffassung des Kommissars sind politische Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungschancen der in Armut lebenden Kinder von eminenter Bedeutung für die Unterbrechung des Armutskreislaufs. Hier tragen die sechzehn Bundesländer die Hauptverantwortung dafür, dass spezifische Bildungsmaßnahmen angeboten werden, die darauf ausgerichtet sind, die schulischen Leistungen sozial benachteiligter Kinder zu verbessern.

114. Kinderarmut kann nicht getrennt von der Lebenssituation armer Familien betrachtet werden und erfordert daher weit reichende und vielschichtige Antworten der Politik. Der Kommissar begrüßt die Verabschiedung des Nationalen Aktionsplans „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“. Der Aktionsplan zielt unter anderem auf die Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern durch gemeinsame politische Maßnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden ab. Wie vom Europäischen Anti-Armuts-Netzwerk gezeigt wurde, ist die Kinderarmut nicht unvermeidlich oder unwandelbar, sondern sie spiegelt letzten Endes die nationalen politischen Entscheidungen wider.42

115. Zwar liegt das Phänomen der erwerbstätigen Armen in Deutschland immer noch unterhalb des EU-Durchschnitts, aber die Tendenz ist steigend, vor allem in Ostdeutschland.43 Un- beziehungsweise angelernte Arbeiter und Zuwanderer stellen die größte Gruppe derjenigen, die ihren Mindestlebensunterhalt trotz ihrer Vollzeitbeschäftigung nicht aus eigenen Kräften bestreiten können. Wohlfahrtsverbände sowie unabhängige Experten haben sich für die Einführung eines Mindestlohns ausgesprochen, um die Abhängigkeit der Arbeitnehmern von Grundsicherungsleistungen zu vermeiden.

116. Der Kommissar unterstreicht, dass politische Armutsbekämpfungsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit den von Armut Betroffenen und den sie vertretenden Organisationen entwickelt und bewertet werden sollen. Der erste Armutsgipfel, der von der Nationalen Armutskonferenz Deutschland im November 2006 ausgerichtet wurde, war eine wichtige Initiative, die denjenigen eine Stimme verliehen hat, die Armut und soziale Ausgrenzung erfahren.44

117. Das öffentliche Bewusstsein für Armut nimmt zu, und es führt zu Konsequenzen in Deutschland. Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, werden jedoch oftmals in den Medien und in der öffentlichen Diskussion stigmatisiert. Der Kommissar betont, dass Armut unbedingt als eine Verweigerung von Rechten zu sehen ist. Anstatt das Individuum für seine Situation verantwortlich zu machen, ist eine Sensibilisierung für die Strukturen und die gesellschaftliche Dynamik, die das Armutsrisiko erhöhen, erforderlich. Armutsbekämpfungspolitik ist letztendlich die Förderung des Zugangs zu Rechten, darunter das Recht auf Bildung, Ausbildung und Beschäftigung, annehmbare Wohnverhältnisse, Sozialdienste und medizinische Versorgung.

5.2. Zugang zu Gesundheits- und Sozialdiensten für gesellschaftlich benachteiligte beziehungsweise anderweitig anfällige Bevölkerungsgruppen

118. Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, tragen ein 50 % höheres Risiko, krank zu werden, und ihre Lebenserwartung ist im Vergleich zum Rest der Bevölkerung zehn Jahre kürzer.45 Etwa 20 % der armutsgefährdeten Menschen unterlassen einen Arztbesuch wegen der Kosten der ärztlichen Beratung und der Medikamente. Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt mit steigenden Zahlen Selbstständiger oder geringfügig Beschäftigter haben zu einer Zunahme von Personen ohne Krankenversicherung geführt. Der Kommissar begrüßt die Initiativen für den Austausch von Modellen der guten Praxis im Hinblick auf den Gesundheitszustand sozial benachteiligter Menschen. Er erkennt das allgemeine Bewusstsein für das Problem bei den Akteuren des Gesundheitssektors an und erachtet die jährlichen Konferenzen über Armut und Gesundheit als ein bedeutendes Forum für die Netzwerkbildung und den Austausch.

119. Die Lage der armutsgefährdeten Menschen wird besonders schwierig, wenn sie ein Alter erreichen, in dem sie einer ständigen medizinischen Behandlung und Versorgung bedürfen. Experten schätzen auch, dass sozial benachteiligte oder marginalisierte ältere Menschen einem höheren Risiko ausgesetzt sind, Opfer häuslicher Gewalt zu werden. Desgleichen bergen Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen aufgrund der extrem wehrlosen Position der in solchen Einrichtungen lebenden Personen die Gefahr des Missbrauchs oder der Gewalt. Der Kommissar hält es für unabdingbar, dass ältere Menschen in diesen schwachen Positionen, ebenso wie ihre Angehörigen leichten Zugang zu Beratungseinrichtungen, darunter Telefon-Hotlines oder Kontaktstellen, haben. Die Beratungsdienste sollen sich auch auf Pflegeeinrichtungen erstrecken und diese besuchen, um über die Rechte der Patienten und der Pflegeleistungsempfänger zu informieren. Zusätzlich müssen regelmäßig unabhängige Überwachungen und Qualitätskontrollen erfolgen, damit strukturelle Mängel aufgedeckt und diejenigen älteren Menschen erreicht werden, die nicht in der Lage sind, ihr Recht auf Pflege in Würde durchzusetzen.

120. Der Kommissar glaubt, dass die Charta der hilfe- und pflegebedürftigen Menschen46, in der die Rechte von Pflegeempfängern zusammengestellt und festgelegt sind, eine wichtige Grundlage für die Verbesserung der Qualitätsnormen und der Kontrollmechanismen in Betreuungseinrichtungen bildet. Die Charta könnte weiter entwickelt werden, damit spezifische Leitlinien für die Bereitstellung von Pflegeleistungen und eine Reihe von Bezugswerten aufgenommen werden, die eine effiziente und Überwachung und Bewertung ermöglichen. Pflege in Würde beinhaltet nicht nur angemessene Standards für die Bereitstellung von Pflegeleistungen, sondern bezieht sich auch auf einen Prozess, der von Transparenz, Beteiligung und Nichtdiskriminierung geleitet wird. Artikel 23 der überarbeiteten Europäischen Sozialcharta fordert die Staaten auf, den in Betreuungseinrichtungen lebenden älteren Menschen eine angemessene Unterstützung unter Wahrung ihrer Privatsphäre sowie die Beteiligung an Entscheidungen über die Lebensbedingungen in der Einrichtung zu garantieren. Der Kommissar ruft Deutschland abermals auf, die überarbeitete Charta zu ratifizieren.

121. Infolge der jüngsten Föderalismusreform sind die Länder befugt, die Gesetze für die Pflegeeinrichtungen zu verabschieden. Nach Auffassung des Kommissars birgt dieser Zuständigkeitstransfer sowohl Chancen als auch Risiken. Damit eine Verschlechterung der Standards in Pflegeeinrichtungen vermieden wird, sollen die Länder sich auf bundesweite Mindeststandards und zuverlässige Durchführungsmechanismen verständigen.

6. Asyl und Einwanderung
6.1. Die Lage der Flüchtlinge und Asylsuchenden

122. Deutschland ist eines der Hauptaufnahmeländer für Flüchtlinge und beherbergt gegenwärtig etwa 700.000 Menschen, die eines internationalen Schutzes bedürfen. Die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland ist jedoch in den letzten Jahren stark rückläufig. 2006 haben 21.029 Menschen in Deutschland Asyl gesucht, während diese Zahl im Jahr 2001 88.287 betrug. Das Zuwanderungsgesetz von 2004, das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, hat das Zuwanderungs- und Asylrecht in Deutschland geklärt und es enger an die internationalen Asylstandards angepasst. Deutschland setzt derzeit auch 11 EU-Richtlinien zum Thema Asyl und verwandten Themen um, die in naher Zukunft zu weiteren Veränderungen in der deutschen Asylpraxis führen können.47 Der Kommissar unterstreicht, dass die betreffenden EU-Richtlinien lediglich Mindeststandards festlegen und ermuntert Deutschland, die Richtlinien im Sinne einer Verbesserung des Flüchtlingsschutzes umzusetzen. Die Implementierung der Richtlinien muss auch in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolgen.

6.1.1. Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

123. Die nationalen Rechtsvorschriften belegen, dass die deutsche Auslegung des internationalen Asylrechts hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung eines Asylantenstatus zum Teil restriktiv war. Beispielsweise galten die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende Verfolgung sowie die Verfolgung aufgrund geschlechterspezifischer Motive in der Vergangenheit im deutschen Asylrecht nicht als relevante Schutzgründe. Das neue Zuwanderungsgesetz schließt diese Gründe ein, zusammen mit einem ausdrücklichen Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951.48 Zwar begrüßt der Kommissar diesen bedeutenden Schritt in Richtung einer Anpassung des deutschen Asylrechts, bei dem die internationale Praxis maßgebend ist, dennoch hält er weitere Fortschritte wünschenswert.

124. Schutzlücken können - unter Hinweis auf die Genfer Konvention - immer noch vorhanden sein, vor allem in der Frage der Religion und der Zugehörigkeit zu einer besonderen gesellschaftlichen Gruppe. Die deutsche Auslegung der Religion als Schutzgrund scheint ohne Einbeziehung des öffentlichen Bekenntnisses auf die Verfolgung des forum internum beschränkt zu sein, wenn eine Person eine Religion ausübt. Das Völkerrecht und das europäische Recht der Religions- und Gewissensfreiheit schließen jedoch die Freiheit des öffentlichen Bekenntnisses der Religion unmissverständlich ein. Die Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer besonderen gesellschaftlichen Gruppe betreffend sollen nicht nur geschlechterbezogene, sondern auch andere Gründe, wie beispielsweise die sexuelle Neigung, in Übereinstimmung mit der EU-Richtlinie 2004/83/EG des Rates Berücksichtigung finden. Die Verfolgung aufgrund von Homosexualität kann laut deutschem Asylrecht zwar geltend gemacht werden, es wurde jedoch auch angeführt, dass der Schutz nur dann erforderlich sei, wenn die Verfolgung auf die Ausübung der Homosexualität im forum internum übergreift. 49

125. Neben den Kriterien für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft legt das Zuwanderungsgesetz auch die Voraussetzungen für den subsidiären Schutzstatus fest.50 Unter Hinweis auf die frühere deutsche Praxis, im Rahmen derer die nichtstaatliche Verfolgung nicht als Schutzgrund anerkannt wurde, unterstreicht der Kommissar, dass in Übereinstimmung mit der Auslegung des Artikels 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte51 beim subsidiären Schutz die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Gefahren auch zu berücksichtigen sind.

6.1.2. Aberkennung des Flüchtlingsstatus

126. In den letzten Jahren wurde einer ungewöhnlich hohen Zahl in der Bundesrepublik lebender Flüchtlinge der Flüchtlingsstatus durch Deutschland aberkannt oder zurückgezogen.52 Diese Praxis betraf in erster Linie Flüchtlinge aus dem Irak, Montenegro und Serbien, einschließlich des Kosovo. Das neue Zuwanderungsgesetz hat auch eine Verpflichtung für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geschaffen, nach der innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren die anfängliche Entscheidung über die Anerkennung des Flüchtlingsstatus automatisch zu überprüfen ist, bevor die Behörden der Bundesländer eine Entscheidung über eine ständige Aufenthaltserlaubnis treffen.53

127. Der Kommissar zeigt sich über den offensichtlichen Positionswechsel in der deutschen Politik bei der Aberkennung des Flüchtlingsstatus besorgt und fordert die deutschen Behörden auf, diese Politik in Übereinstimmung mit dem internationalen Asylrecht zu überprüfen. Da die der Anerkennung einer Person als Flüchtling zugrunde gelegten Umstände sich tatsächlich im Laufe der Zeit ändern können, so dass eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Genfer Konvention gerechtfertigt ist, müssen diese Änderungen grundlegender Natur sein, damit die Angst vor Verfolgung eindeutig einer Grundlage entbehrt. Es bedarf einer detaillierten Bewertung der allgemeinen Situation im Herkunftsland, damit festgestellt werden kann, ob die veränderten Umstände voraussichtlich weiter bestehen können. Des Weiteren soll die Gewährung des internationalen Schutzes den Flüchtlingen ein Sicherheitsgefühl vermitteln, das nicht durch eine häufige Überprüfung ihres Status gefährdet werden darf.

6.1.3. Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)

128. Eine Duldungsgenehmigung kann abgelehnten Asylbewerbern zuerkannt werden, die aus rechtlichen, technischen oder humanitären Gründen (zum Beispiel Zusammenhalt der Familie, Reiseunfähigkeit durch Krankheit, Schwangerschaft, Suizidgefahr und Nichtverfügbarkeit von Beförderungsmitteln) nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden können. Sie ist nicht gleichbedeutend mit dem Bleiberecht, da sie die Abschiebung jeweils nur für längstens sechs Monate aussetzt. Entsprechend haben geduldete Personen einen eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Beschäftigung, da ihr Recht auf Freizügigkeit auch stark beschnitten ist. 2006 lebten 186.000 Menschen mit einer Duldungsgenehmigung in Deutschland. Mehr als 100.000 von ihnen hielten sich bereits mehr als sechs Jahre in Deutschland auf und fast 54.000 länger als ein Jahrzehnt. Die größten Personengruppen, die mit einer Duldungsgenehmigung in Deutschland leben, kommen aus Serbien und Montenegro, einschließlich Kosovo, Türkei und Irak. Ein bedeutender Teil der Gruppe aus dem Kosovo sind Roma.

129. Der Kommissar ist der Auffassung, dass die Duldungen für kurze Zeiträume durchaus gerechtfertigt sein können, um technischen Problemen zu begegnen. Werden sie jedoch über mehrere Jahre, ja sogar Jahrzehnten angewendet, so kann aus diesem Unsicherheitsstatus eine Verletzung der Würde des Menschen erwachsen. Die so genannte Kettenduldung bedeutet, dass die Genehmigungsinhaber und ihre Familien einer enormen Belastung ausgesetzt sind, da die Genehmigung ohne Vorankündigung widerrufen werden kann und zur umgehenden Abschiebung führt. Ein sehr besorgniserregender Faktor in diesem Zusammenhang sind die Kinder dieser Familien, die oftmals in Deutschland geboren sind, in diesem Land Schule besuchen, dort Freunde haben und deren erste Sprache in der Gesellschaft Deutsch ist. Sie haben eine enge Bindung an Deutschland, wo sie seit ihrer Geburt leben. Der Kommissar betont, dass es bei der Behandlung dieser Frage darauf ankommt, die Interessen des Kindes bestmöglich zu berücksichtigen.

130. Nach dem Zuwanderungsgesetz von 2004 soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf jedoch nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.54 Die deutschen Behörden haben den Kommissar unterrichtet, dass diese Verschulden die Hauptgründe für die Verlängerung der Duldungsgenehmigungen über 18-Monats-Grenze hinaus sind. Die Ständige Konferenz der Innenminister fasste am 17. November 2006 in Nürnberg einen Beschluss, nach dem Personen, vor allem solche mit Familien, die sich im Besitz einer Duldung mindestens 6 beziehungsweise 8 Jahre in Deutschland aufhielten, unter bestimmten Bedingungen die Berechtigung für eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Es gilt die Bedingung, ein Beschäftigungsverhältnis nachzuweisen, obgleich im Rahmen des Beschlusses ein Zehnmonatszeitraum bis September 2007 für die Arbeitssuche mit einem vereinfachten Zugang zu einer Arbeitserlaubnis vorgesehen ist. Aufgrund der mit dem Beschluss verbundenen Auflagen ist es aber durchaus möglich, dass lediglich 10-15 % dieser Menschen im Besitz einer Duldungsgenehmigung mit Hilfe dieser Maßnahme in den Genuss einer Aufenthaltserlaubnis kommen.

131. Der Kommissar begrüßt den Nürnberger Beschluss als einen Schritt in die richtige Richtung. Der Kommissar legt den deutschen Behörden jedoch nahe, die geforderte Aufenthaltsdauer zu verkürzen und die mit dieser Maßnahme verbundenen Auflagen zu überprüfen, so dass ein größerer Personenkreis einen Aufenthaltstitel erhalten kann. In diesem Zusammenhang erinnert der Kommissar an die in der Vergangenheit besonders restriktive Auslegung der Gründe für die Anerkennung eines Flüchtlingsstatus in Deutschland, aufgrund derer möglicherweise viele Menschen, die derzeit im Besitz einer Duldungsgenehmigung sind, keinen Zugang zu einem Flüchtlingsstatus und einer Aufenthaltserlaubnis hatten. Dies könnte beispielsweise auf aus dem Kosovo stammende Roma zutreffen, denen laut UNHCR heute immer noch internationaler Schutz gewährt werden soll.55

6.1.4. Asylverfahren

132. Asylverfahren werden in Deutschland unter Bezugnahme auf das Asylverfahrensgesetz und die Dublin-II-Verordnung der EU durchgeführt.56 Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist für die Durchführung von Interviews mit Asylbewerbern und für die Entscheidungen über die Gewährung oder die Aberkennung des Flüchtlingsstatus zuständig. Aufenthaltserlaubnisse werden von den Behörden der Bundesländer erteilt. Entscheidungen des Bundesamtes können vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. 2005 wurden 61 % der gescheiterten Asylanträge vor die Verwaltungsgerichte gebracht. Das Einlegen weiterer Rechtsmittel bei Oberverwaltungsgerichten unterliegt Beschränkungen. Bei Anträgen, die laut Bundesamt offensichtlich unbegründet sind, hat das Einlegen von Rechtsmitteln keine aufschiebende Wirkung, aber ein Verwaltungsgericht kann über einen Antrag wegen einer einstweiligen Verfügung entscheiden. In besonderen Härtefällen können die Länderbehörden abgelehnten Asylbewerbern nach einer Petition der kürzlich in vielen Ländern gemäß dem Aufenthaltsgesetz (Artikel 23a) eingerichteten Härtefall-Ausschüsse auch Aufenthaltserlaubnisse ausstellen.

133. Vertreter der Zivilgesellschaft haben dem Kommissar berichtet, dass die vom Bundesamt durchgeführten Befragungen nicht immer auf die spezifischen Bedürfnisse der Asylsuchenden abgestimmt waren, beispielsweise im Fall von Asylbewerbern mit posttraumatischen Stresserkrankungen. Die deutschen Behörden haben den Kommissar darüber informiert, dass das Bundesamt im Jahr 2006 zwei Schulungen in diesem Bereich durchgeführt hatte. Nach Auffassung des Kommissars sollen die Angestellten des Bundesamtes und die Dolmetscher, die die Befragungen der Asylsuchenden durchführen, speziell geschult werden, um besonders labile Asylbewerber zu erkennen und zu interviewen. Bei diesen Schulungen sollen auch geschlechterspezifische Faktoren berücksichtigt werden, vor allem im Hinblick auf die Opfer sexuellen Missbrauchs.

134. Gemäß dem Asylverfahrensgesetz werden minderjährige Asylbewerber wie erwachsene Asylsuchende behandelt. Die deutschen Behörden begründen diese Rechtsvorschrift mit der deutschen Erklärung zur Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention. Diese Erklärung scheint bestimmte Ausnahmen von den Bestimmungen der Konvention bezüglich der deutschen Rechtsvorschriften über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthalts vorzusehen. Im Oktober 2005 trat jedoch eine Änderung des deutschen Kinder- und Jugendhilfeentwicklungsgesetzes in Kraft (Artikel 42), das die Jugendämter verpflichtet, für alle unbegleitet eingereisten Minderjährigen unter 18 eine altersgerechte Unterbringung bereitzustellen und einen Vormund zu bestellen. Die EU-Richtlinien über Asyl definieren unbegleitete Minderjährige auch als Kinder unter 18. Der Kommissar fordert die deutschen Behörden auf, Asylsuchende zwischen 16 und 18 Jahren als Minderjährige zu behandeln und die deutsche Erklärung zur Kinderrechtskonvention in Übereinstimmung mit den UN-Empfehlungen zurückzuziehen.57 Im Asylverfahren für Minderjährige sollen die Interessen des Kindes bestmöglich berücksichtigt werden.

135. Der Zugang zu Rechtsmitteln gegen behördliche Asylentscheidungen wird auch durch die Bereitstellung von Prozesskosten- und Beratungshilfe beeinflusst. Zwar ist der Rechtsbehelf für Asylsuchende, die sich vor ihrer legalen Einreise nach Deutschland dem Flughafenverfahren unterziehen kostenfrei, jedoch gibt es keine systematische Verfahrensberatung und Rechtshilfe in sonstigen Stadien des Verfahrens. Selbst bei Asylbewerbern, die die Möglichkeit haben, Prozesskosten- und Beratungshilfe zu beantragen, wenn sie vor Gericht Entscheidungen anfechten, unterliegt die Gewährung dieser Hilfe in der Regel einer Prüfung, damit festgestellt wird, ob der Einspruch Erfolgsaussichten hat. Außerdem wurde der Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln im Dublin-II-Verfahren in Frage gestellt, da es verwaltungsgerichtliche Entscheidungen gegen die Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen eine Abschiebungsanordnung gab. 58 Die deutschen Behörden haben den Kommissar unterrichtet, dass aus dem Ausland eingelegte Rechtsmittel in solchen Fällen selbst dann zulässig sind, wenn nicht immer eine einstweilige Verfügung erlassen wird.

136. Der Kommissar empfiehlt, dass Asylbewerber ab dem Beginn des Antragsverfahrens systematisch eine kostenlose Rechtsberatung erhalten. Zusätzlich zur Verbesserung des Rechtsschutzes von Asylbewerbern würde eine solche Regelung möglicherweise die große Zahl der Beschwerdeanträge senken, da die anfänglichen Interviews mit den Behörden und die darauf folgenden Anträge eine solidere Grundlage erhielten. Der Kommissar ist auch der Auffassung, dass nach dem Dublin-II-Verfahren abgelehnte Asylbewerbern vor ihrer Ausreise die Möglichkeit haben sollen, in Übereinstimmung mit den Artikeln 19 Absatz 2 und 20 Absatz l Buchstabe e der Verordnung des Rates Nr. 343/2003 und den Verpflichtungen nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (vor allem Artikel 3 und 13) die Aussetzung der Abschiebung bei einem Verwaltungsgericht zu beantragen.

6.1.5. Aufnahmebedingungen

137. In Deutschland sind die Länder für die Aufnahme von Asylbewerbern gemäß dem Asylverfahrensgesetz (Teile 3 und 4) und dem Asylbewerberleistungsgesetz zuständig, wobei sie nach einem Quotensystem (Königsteiner Schlüssel) vorgehen. Während der ersten drei Monate werden die Asylsuchenden in Erstaufnahmeeinrichtungen und anschließend in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Etliche Bundesländer haben auch besondere Rechtsvorschriften über die Aufnahmebedingungen erlassen. Entsprechend variieren die Bedingungen bei den Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zwischen den jeweiligen Bundesländern, und es kann auch erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Unterkünften innerhalb eines Bundeslandes geben. Die Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern ist auf den Bezirk, dem sie zugewiesen sind, beschränkt, allerdings kann ihnen erlaubt werden, den Geltungsbereich der Aufenthaltsgestattung vorübergehend zu verlassen, wenn gesetzlich vorgeschriebenen zwingende Gründe es erfordern. Der Ausländer kann Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, ohne Erlaubnis wahrnehmen. Zur Wahrnehmung von Terminen bei Bevollmächtigten, beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen und bei Organisationen, die sich mit der Betreuung von Flüchtlingen befassen, soll die Erlaubnis unverzüglich erteilt werden. 59

138. Beihilfen für Asylbewerber sind auf rund 80 % der Fürsorgeleistungen beschränkt, die für Ausländer mit gesichertem Aufenthaltsstatus bereitgestellt werden. Nahrungsmittel und Kleidung werden in Form von Naturalien beziehungsweise als Gutscheine oder Zuschüsse – je nach Bundesland – zur Verfügung gestellt. Antragsteller können in der Regel 40 Euro Taschengeld pro Monat erhalten. Zugang zu medizinischer Versorgung ist grundsätzlich auf die Behandlung akuter Erkrankungen beziehungsweise akuter Schmerzzustände und die Behandlung werdender Mütter beschränkt, obgleich auch Ausnahmen bei individuellen Bedürfnissen und insbesondere die Behandlung traumageschädigter Asylsuchender und Kinder gestattet werden können.60 Nach einem dreijährigen Aufenthalt in Deutschland wird der Zugang zu medizinischer Versorgung und Beihilfen unter Bezugnahme auf die allgemeine Sozialhilfegesetzgebung gesetzlich festgelegt. Arbeitserlaubnisse können erst nach dem ersten Jahr erteilt werden, und sonstige Arbeitsuchende haben bei der Einstellung gewöhnlich Vorrang vor Asylbewerbern. Je nach Bundesland sind die Kinder Asylsuchender entweder verpflichtet, der allgemeinen Schulpflicht zu folgen oder sie haben lediglich das Recht auf Schulbesuch. Haben sie nur das Recht auf Schulbesuch, dann werden sie nicht immer mit Schulmaterialien versorgt, ihre Fahrtkosten werden möglicherweise nicht erstattet und die Schule kann von dem Recht Gebrauch machen, die Aufnahme - anders als bei anderen Schülern - abzulehnen. Abgesehen von den Bestimmungen der Dublin-II-Verordnung ist die Familienzusammenführung normalerweise für Asylbewerber nicht statthaft.

139. Der Kommissar hat im Freistaat Bayern eine Gemeinschaftsunterkunft in der Rosenheimer Straße in München besucht. Die Unterkunft bestand aus zwei für etwa 290 Personen ausgelegten Doppeletagen-Containern, die ursprünglich 1992 für einen Automobilclub in unmittelbarer Nähe einer Autobahn gebaut wurden. Die Räume in den Containern waren 12,92 Quadratmeter groß und beherbergten jeweils zwei bis vier Asylbewerber. Während des Besuchs waren in dem Zentrum 189 Personen untergebracht. Die Gemeinschaftsküchen, -toiletten und –duschen lagen an einem Ende des Hauptkorridors. Es gab einen kleinen Spielplatz auf dem Gelände gleich neben der Straße. In der Unterkunft lebten Alleinstehende, Familien und unbegleitet eingereiste Minderjährige zwischen 16 und 18 Jahren. Die Unterkunft wurde von regionalen Sozialbehörden betreut, und eine NRO kümmerte sich um die besondere Betreuung und spezifische Aktivitäten für die unbegleitet eingereisten Minderjährigen. Die Bewohner erhielten zweimal wöchentlich Nahrungsmittelpakete und zweimal jährlich Kleidung, und es wurden Gutscheine für den Besuch von Gesundheitseinrichtungen für die Behandlung akuter Erkrankungen verteilt.

140. Nach Dafürhalten des Kommissars ist der Langzeitaufenthalt von Asylsuchenden in wohnheimähnlichen Gemeinschaftsunterkünften in Mehrbettzimmern deren Wohlbefinden abträglich. Erfolgt zudem die Verteilung von Nahrung und Kleidung in Form von Naturalien, womit die persönliche Auswahl eingeschränkt wird, so ist die Achtung der Privatsphäre der Asylbewerber in Frage gestellt. Der Kommissar fordert die deutschen Behörden auf, nach alternativen Möglichkeiten für die Unterbringung von Asylsuchenden nach ihrem anfänglichen Aufenthalt in den Erstanlaufstellen zu suchen. Für Familien sollen getrennte Räume zur Verfügung gestellt werden. Für die Bereitstellung von Nahrung und Kleidung sind Gutscheine oder Bargeldzuwendungen die vorzuziehende Option. Der Kommissar ist der festen Überzeugung, dass die Aufnahmebedingungen nicht zur Institutionalisierung und Marginalisierung von Asylbewerbern führen dürfen. Stattdessen soll Asylsuchenden die Möglichkeit gegeben werden, während des Prozesses ein wesentliches Maß an persönlicher Autonomie zu behalten.

141. Der Kommissar ist auch besorgt darüber, dass der obligatorische Aufenthalt von Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften und die strengen Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, wenn diese über Jahre andauern, möglicherweise nicht in vollem Umfang den einschlägigen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechen (vor allem Artikel 8 und Artikel 2 des Protokolls Nr. 4). Entsprechend ersucht der Kommissar die deutschen Behörden um die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit derartiger Einschränkungen. Darüber hinaus fordert der Kommissar alle Bundesländer auf, die Schulpflicht für die Kinder von Asylbewerbern gleichberechtigt mit anderen Schülern verbindlich zu machen.

142. Bezüglich der Bereitstellung der medizinischen Versorgung für die Asylsuchenden empfiehlt der Kommissar, dass den Asylbewerbern der Zugang zu einer umfassenden medizinischen Versorgung bereits zu einem früheren Zeitpunkt gewährt wird. Es wird darauf hingewiesen, dass die EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates (Artikel 15) fordert, dass die EU-Mitgliedstaaten Sorge dafür tragen, dass alle Asylbewerber die medizinische Versorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten erhalten.

143. Schließlich ist sich der Kommissar bewusst, dass die Lebensbedingungen in den deutschen Gemeinschaftsunterkünften je nach Bundesland und Unterkunft innerhalb eines Bundeslandes schwanken können. Da der Kommissar lediglich eine Gemeinschaftsunterkunft besichtigt hat, kann er die Qualität der Gemeinschaftsunterkünfte im Allgemeinen nicht beurteilen. Der Kommissar ist jedoch der Auffassung, dass die in der Gemeinschaftsunterkunft in der Rosenheimer Straße in München angetroffenen Lebensbedingungen kaum zufrieden stellend sind. Es ist fraglich, ob die von Hauptverkehrsstraßen umgebenen, baufälligen Container, die eine beengte Unterbringung in Mehrbettzimmern auf verschiedenen Etagen für Alleinstehende, Familien und unbegleitet eingereiste Minderjährige bieten, im Sinne der EU-Richtlinie 2003/9/EG61 des Rates als Gemeinschaftsunterkunft geeignet ist, die einen angemessenen Lebensstandard sicherstellt. Der Kommissar empfiehlt, dass die deutschen Behörden Leitlinien über Mindeststandards für die Unterbringung von Asylbewerbern erarbeiten, um sicherzustellen, dass allen Asylsuchenden ein adäquater Lebensstandard geboten wird.

6.1.6. Abschiebungshaft

144. Die Abschiebungshaft kann durch einen Amtsrichter bis zu sechs Monaten für abgelehnte Asylbewerber, die untergetaucht sind beziehungsweise sich der Abschiebung möglicherweise entziehen möchten oder für die eine Abschiebung aus Sicherheitsgründen verfügt wurde, um eine spezifische Bedrohung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine Bedrohung durch den Terrorismus abzuwehren, angeordnet werden.62 Die Abschiebungshaft kann auch für eine Höchstdauer von zwei Wochen angeordnet werden, wenn die Frist für eine freiwillige Ausreise verstrichen und es sicher ist, dass die Abschiebung durchgesetzt werden kann. Die Haft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Verhindert der abgelehnte Asylbewerber selbst jedoch die Abschiebung, so kann die Haft um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Demnach beträgt die Dauer der Abschiebungshaft bis zur obligatorischen Entlassung höchstens 18 Monate.

145. Abgelehnte Asylbewerber in Abschiebungshaft unterliegen gewöhnlich der üblichen Gefängnisordnung, obgleich einige Bundesländer auch besondere Abschiebungszentren eingerichtet haben. Gemäß dem Zuwanderungsgesetz63 haben grundsätzlich die Häftlinge die Haftkosten sowie alle sonstigen Kosten im Zusammenhang mit der Abschiebung zu tragen. Die Häftlinge können ihre Haft vor den Bezirksgerichten anfechten, obwohl kostenlose Rechtshilfe üblicherweise nicht bereitgestellt wird, da sie einer Prüfung unterliegt, um festzustellen, dass der Einspruch Aussicht auf Erfolg hat. Vertreter der Zivilgesellschaft haben dem Kommissar berichtet, dass der „wohlbegründete Verdacht“, dass ein abgelehnter Asylbewerber sich der Abschiebung entziehen will, möglicherweise über Gebühr als Grund herangezogen wurde, um Ausländer in Abschiebungshaft zu nehmen. Sie legten ebenfalls dar, dass die Haftbedingungen mit eingeschränkten Möglichkeiten für die Kommunikation mit der Außenwelt zunehmend recht hart seien und dass die psychische Belastung der Häftlinge mitunter zu Selbstmordversuchen geführt hätte.

146. Mehrere Länder haben auch besondere Ausreisezentren für Ausländer geschaffen, die gezwungen sind, Deutschland ohne eine weitere Beschwerdemöglichkeit zu verlassen.64 Nach dem Zuwanderungsgesetz65 soll in den Ausreisezentren durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft der Ausländer zur freiwilligen Ausreise aus Deutschland gefördert werden. Vertreter der Zivilgesellschaft berichteten dem Kommissar, dass die in diesen Einrichtungen untergebrachten Ausländer oftmals eine Duldungsgenehmigung besäßen, da ihre Abschiebung aufgrund fehlender Reisepapiere nicht erfolgen konnte. NRO legten auch dar, dass die in diesen Einrichtungen lebenden Ausländer aufgrund wiederholter Durchsuchungen ihrer persönlichen Sachen, Befragungen zu ihrer Identität und ihrem Rückkehrwillen sowie der grundlegenden Lebensbedingungen in diesen Einrichtungen einem erheblichen psychologischen Druck ausgesetzt seien. Viele Ausländer sind auch aus solchen Einrichtungen verschwunden.

147. Der Kommissar besuchte die Abschiebehaftanstalt Köpenick im Land Berlin sowie den Trakt für Abschiebungshäftlinge in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München im Freistaat Bayern. Die Abschiebehaftanstalt Köpenick mit einer Aufnahmekapazität von 214 Plätzen wurde von der Berliner Polizei geführt. Zum Zeitpunkt der Besichtigung hielten sich 129 Häftlinge in der Einrichtung auf. Auch Minderjährige zwischen 16 und 18 Jahren konnten in der Abschiebehaftanstalt untergebracht werden. Den Berliner Behörden zufolge betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Häftlinge 21 Tage und überschritt eine Dauer von drei Monaten nicht, obschon die Haftdauer in der Vergangenheit länger war. Die Zahl der Häftlinge war ebenfalls rückläufig. Die Häftlinge hatten Zugang zu einem öffentlichen Telefon und durften im Besitz von Mobiltelefonen ohne Kamerafunktion sein. Die Zahl der Besucher für die Häftlinge belief sich - bezogen auf die gesamte Einrichtung - auf insgesamt etwa 1.100 pro Monat. Die Häftlinge konnten sich 90 Minuten täglich im Freien aufhalten.

148. Zum Zeitpunkt der Besichtigung hielten sich etwa 50 Häftlinge im Abschiebungstrakt der Justizvollzugsanstalt Stadelheim auf. Minderjährige zwischen 14 und 18 Jahren konnten auch im Trakt für Jugendliche untergebracht werden. Den Gefängnisbehörden zufolge lag die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Häftlinge bei 40 Tagen, konnte aber bis zu 18 Monaten betragen, vor allem wenn für einen Häftling keine Ausweispapiere beigebracht werden konnten. Die Zahl der Abschiebehäftlinge in Bayern war rückläufig. Abgesehen von einem Telefongespräch zu Beginn und am Ende der Haft gab es keinen freien Zugang zu einem Telefon, obwohl der Zugang auf besonderen Antrag gewährt werden konnte. Zweimal monatlich durften die Häftlinge jeweils 30 Minuten lang Besuch empfangen. Die Häftlinge konnten sich 60 Minuten täglich im Freien aufhalten. Das Gefängnispersonal informierte den Kommissar darüber, dass einige Häftlinge einem enormen psychischen Druck ausgesetzt seien und dass eine Gruppe von Häftlingen sich kürzlich in einen Hungerstreik begeben habe.

149. Der Kommissar ist fest davon überzeugt, dass die Abschiebungshaft ausschließlich zur Anwendung gelangen soll, wenn sie umfassend gerechtfertigt und es klar ist, dass die Abschiebung tatsächlich in unmittelbarer Zukunft durchgeführt werden kann. Sie darf nicht zum Ziel haben, den abgelehnten Asylbewerber unter Druck zu setzen, damit er mit den Behörden zusammenarbeitet, um den Abschiebeprozess zu befördern. Die Behörden sollen bei der Rechtfertigung der Haftgründe und bei der Feststellung der konkreten Abschiebungswahrscheinlichkeit äußerst umsichtig vorgehen, bevor sie bei den Gerichten einen Antrag auf Abschiebungshaft stellen. Der Kommissar fordert die deutschen Behörden auf, die Abschiebungshaft - wann immer möglich – auf einige Wochen anstatt auf mehrere Monate zu beschränken. Die Abschiebungshaft für Minderjährige unter 18 Jahren soll in Übereinstimmung mit der Konvention für die Rechte der Kinder auf das absolute Mindestmaß begrenzt bleiben.

150. Der Kommissar ist auch beunruhigt darüber, dass es für die Häftlinge möglicherweise schwierig ist, ihre Abschiebungshaft vor Gericht anzufechten, da ihr Zugang zu Rechtshilfe in Ermangelung finanzieller Mittel beziehungsweise aufgrund fehlender Kommunikationsmöglichkeiten mit der Außenwelt anscheinend recht eingeschränkt ist. Der Kommissar empfiehlt den deutschen Behörden, den Abschiebehäftlingen eine kostenlose Rechtsberatung zur Verfügung zu stellen. Ferner bringt der Kommissar seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die Ausreisezentren für Ausländer dazu genutzt werden könnten, Druck auf abgelehnte Asylbewerber zum Verlassen Deutschlands auszuüben und bezweifelt die Notwendigkeit dieser speziellen Ausreiseeinrichtungen.

151. Schließlich ist sich der Kommissar bewusst, dass nach dem Zuwanderungsgesetz auch Beförderungsunternehmer für die Abschiebekosten abgelehnter Asylsuchender haftbar gemacht werden können, wenn sie ohne die erforderlichen Dokumente nach Deutschland befördert wurden. Der Kommissar ist besorgt darüber, dass diese Praxis zur Übertragung von normalerweise den staatlichen Behörden obliegenden Pflichten, beispielsweise die Überprüfung von Reisedokumenten, auf private Beförderungsunternehmer führt, die üblicherweise nicht denselben Menschenrechtsverpflichtungen unterliegen wie die staatlichen Behörden. Was die Asylsuchenden angeht, so können von der Genfer Konvention anerkannte Gründe für das Fehlen gültiger Reisedokumente vorliegen.

6.2. Integration in Deutschland wohnhafter Ausländer und Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft

152. Im Jahr 2005 lebten etwa 6,8 Mio. Ausländer in Deutschland, das heißt 8,2 % der gesamten Wohnbevölkerung. Die Mehrheit stellten Staatsangehörige aus den folgenden Länder: Türkei (26,1 %), Italien (8 %), Serbien und Montenegro (7,3 %), Polen (4,8 %), Griechenland (4,6 %) und Kroatien (3,4 %). 62 % aller ausländischen Einwohner lebten bereits mehr als 10 Jahre in Deutschland, und bei den türkischen Staatsangehörigen waren es 75 %.

153. Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz wurden Integrationskurse für in Deutschland wohnhafte Ausländer eingerichtet, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge koordiniert werden (Kapitel 3 des Aufenthaltsgesetzes). Die Kurse beinhalten Maßnahmen, um die Zuwanderer mit der deutschen Sprache, dem Rechtssystem, der Kultur und der Geschichte des Landes vertraut zu machen. Die Kurse sind grundsätzlich für diejenigen Zuwanderer Pflicht, die nicht in der Lage sind, in Deutsch zu kommunizieren. Die deutschen Behörden informierten den Kommissar während seines Besuchs darüber, dass die Weiterentwicklung des Integrationsprogramms derzeit läuft.

154. Der Kommissar begrüßt die neue Bestimmung über Integrationskurse für in Deutschland wohnhafte Ausländer. Solche Kurse sollen den wechselseitigen Integrationsprozess von Zuwanderern und Deutschen verbessern. Der Kommissar betont, dass solche Kurse, falls sie eine Pflichtveranstaltung darstellen, für jene Teilnehmer kostenfrei sein sollen, die nicht in der Lage sind, sich an den Kursgebühren zu beteiligen.

155. Die Familienzusammenführung mit den Familienangehörigen aus dem Ausland ist eine weitere Maßnahme zur Förderung der Integration von Zuwanderern. Während seines Besuchs wurde der Kommissar darüber unterrichtet, dass die Familienzusammenführung in Deutschland üblicherweise ausschließlich den Angehörigen der Kernfamilie vorbehalten ist, und sie unterliegt auch Einschränkungen in Bezug auf ausreichende Wohnraumverhältnisse und finanzielle Mittel. Diese Restriktionen gelten auch für Flüchtlinge, jedoch ist es im Ermessen der Behörden, Ausnahmen zuzulassen. Der Kommissar stellt fest, dass in Übereinstimmung mit der EU-Richtlinie des Rates 2003/86/EG den Flüchtlingen bessere Bedingungen für die Ausübung ihres Rechtes auf Familienzusammenführung eingeräumt werden sollen, ohne Einschränkungen im Hinblick auf den verfügbaren Wohnraum beziehungsweise die finanziellen Ressourcen.66

156. Derzeit besitzen lediglich EU-Bürger Kommunalwahlrecht in Deutschland. Nach Auffassung des Kommissars würde die Integration der in Deutschland lebenden Ausländer deutlich verbessert, wenn sie effizient an der Entscheidungsfindung auf lokaler Ebene mitwirken könnten. Dementsprechend ruft der Kommissar die deutschen Behörden auf, einen Beitritt Deutschlands zum Übereinkommen des Europarats über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben zu prüfen. Die Rechte der Zuwanderer würden durch einen Beitritt Deutschlands zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer und zur Internationalen Konvention über den Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen ebenfalls gestärkt.

157. Seit dem Jahr 2000 können in Deutschland lebende Ausländer nach einem 8-jährigen ständigen Aufenthalt die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben. Der Kommissar begrüßt diese wichtige Änderung des Einbürgerungsverfahrens. In der Regel wird jedoch für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft der Verzicht auf die frühere Staatsbürgerschaft verlangt. Da die meisten in Deutschland lebenden Ausländer aufgrund der Dauer ihres Aufenthaltes die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben könnten, ist der Kommissar der Meinung, dass die Einschränkungen bei der Doppelstaatsbürgerschaft eine bedeutende Hürde für die Einbürgerung und infolgedessen für die dauerhafte Integration von Ausländern darstellen kann. Der Kommissar ersucht die deutschen Behörden um die Überprüfung der Rechtsvorschriften im Hinblick auf den möglichen Erwerb der doppelten Staatsbürgerschaft.

158. Die Zuständigkeit für die Durchführung der Einbürgerungsverfahren obliegt den Bundesländern. Im Laufe des Verfahrens können die Behörden Befragungen durchführen, um die Anspruchsberechtigung des Antragstellers für die Einbürgerung zu prüfen. In einigen Bundesländern haben die Behörden zur Erleichterung des Prozesses Fragebögen für bestimmte Gruppen von Antragstellern erarbeitet. Vertreter der Zivilgesellschaft berichteten dem Kommissar, dass Inhalt und Verwendung solcher Fragebögen gegenüber bestimmten Antragstellergruppen diskriminierend sein können. Insbesondere gaben sie an, dass die Fragen anscheinend auf Muslime abzielen. Während seines Besuchs wurde der Kommissar darüber informiert, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge derzeit einen Fragenkatalog für Einbürgerungsverfahren entwickelt, der allen Bundesländern zur Verfügung gestellt werden soll. Der Kommissar legt dar, dass die Einbürgerungsverfahren unter der erforderlichen Wahrung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung durchgeführt werden sollen. Er empfiehlt, dass die deutschen Behörden für alle Antragsteller einen einheitlichen Fragebogen ohne diskriminierenden Inhalt verwenden.

6.3. Die Lage von nicht registrierten Zuwanderern

159. Die Schätzungen über die Zahl der in Deutschland lebenden nicht registrierten Zuwanderer schwanken zwischen 100.000 und einer Million. Bedingt durch ihren illegalen Aufenthaltsstatus sind sie in einer schwachen Position in Bezug auf den Zugang zu den sozialen Grunddiensten, beispielsweise medizinische Versorgung und Bildung. Gemäß den Bestimmungen des Zuwanderungsgesetzes haben öffentliche Stellen die Ausländerbehörden unverzüglich über sich illegal in Deutschland aufhaltenden Zuwanderern zu unterrichten (Artikel 87 des Aufenthaltsgesetzes). Die Hilfeleistung für Ausländer ohne Ausweispapiere ist auch eine strafbare Handlung im Sinne des Zuwanderungsgesetzes (Artikel 96 des Aufenthaltsgesetzes). Nach Angaben der deutschen Behörden wird eine solche Hilfeleistung als eine strafbare Handlung betrachtet, wenn sie wiederholt stattfindet oder auf die Verschaffung finanzieller Vorteile abzielt und damit eine Verlängerung des illegalen Aufenthalts beabsichtigt wird. Vertreter der Zivilgesellschaft haben dem Kommissar berichtet, dass die gegenwärtige Meldepraxis bezüglich der nicht registrierten Zuwanderer innerhalb Deutschlands sehr unterschiedlich ist. Während Schulen nach den Rechtsvorschriften aktiv Kinder von sich illegal im Bundesgebiet aufhaltender Zuwanderer melden sollen, war dies bei den öffentlichen Gesundheitsdiensten weniger eindeutig.

160. Der Kommissar bekräftigt, dass nicht registrierte Zuwanderer auch Rechte im Rahmen der internationalen Menschenrechtsinstrumente haben.67 Zum Beispiel haben nicht registrierte Zuwanderer das Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung im Falle von Krankheit, und ihre Kinder haben das Recht auf Bildung ohne Diskriminierung. Der Kommissar ruft die deutschen Behörden dazu auf, sicherzustellen, dass illegale Zuwanderer ihre Ansprüche auf die medizinische Versorgung und Bildung tatsächlich wirksam geltend machen können.

6.4. Antworten auf den Menschenhandel

161. Während seines Besuchs haben die deutschen Behörden den Kommissar versichert, dass Deutschland die baldige Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats über Maßnahmen gegen den Menschenhandel beschlossen hat. Mit dem Übereinkommen sollen die Rechte der Menschenhandelsopfer gestärkt und die staatlichen Behörden gehindert werden, sie als illegale Zuwanderer beziehungsweise Kriminelle zu behandeln. Im Rahmen des Übereinkommens erhalten die Opfer von Menschenhandel auch das Recht auf eine mindestens 30-tägige Bedenkzeit, um sich zu erholen und eine Entscheidung über ihre mögliche Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden zu treffen. Die EU-Richtlinie 2004/81/EG führt auch eine Aufenthaltserlaubnis für die Opfer von Menschenhandel ein, damit sie Bedenkzeit haben. Die Umsetzung dieser EU-Richtlinie findet derzeit in Deutschland statt.

162. Nach der derzeitigen deutschen Praxis verfügen die Länderbehörden über den Handlungsspielraum, um den Opfern von Menschenhandel einen Mindestzeitraum von vier Wochen für Erholung und Rehabilitation zu gewähren. Deutschland hat noch keine bundesgesetzliche Bestimmung erlassen, in der die Kriterien, die Dauer und die Bedingungen des Aufenthalts von Menschenhandelsopfern festgelegt sind. Der Kommissar ermuntert die Bundesbehörden, einen Mindestzeitraum für den Aufenthalt aller Menschenhandelsopfer einzuführen, während dessen sie Zugang zu medizinischer Versorgung, darunter psychotherapeutische Behandlung, und kostenloser Rechtshilfe erhalten sollen. Außerdem soll gewährleistet sein, dass denjenigen, die nicht über ausreichende Ressourcen verfügen, Obdach gewährt wird. Mit Blick auf die traumatischen Erfahrungen der Menschenhandelsopfer ruft der Kommissar die Behörden auf, über diesen Mindestzeitraum hinauszugehen, wenn die Opfer zusätzliche Zeit zur Erholung benötigen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen.

163. Der Kommissar betont die Bedeutung wirksamer, präventiver Hilfsmaßnahmen, damit diese Personen nicht erneut Opfer von Menschenhandel werden. Er ermutigt Deutschland, weiterhin spezialisierte nichtstaatliche Hilfseinrichtungen zu finanzieren, die für die Menschenhandelsopfer leicht zugänglich sind. Die Berater und das Betreuungspersonal dieser Organisationen spielen eine wesentliche Rolle im Erholungsprozess.

164. Der Kommissar betont, dass Personen, die Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung wurden, zuallererst als Opfer gravierender Menschenrechtsverletzungen anzusehen sind. Ihre Rolle bei der Verfolgung organisierter Menschenhandelsverbrechen soll, obschon von Bedeutung, während der ersten Betreuungs- und Unterstützungsphase als sekundär betrachtet werden. Deutschland hat eine breite Palette politischer Reaktionen gegen den Menschenhandel mit sexueller Ausbeutung entwickelt. Der Kommissar ist der Auffassung, dass weitere Strategien und Maßnahmen verabschiedet werden sollen, damit sonstige Formen von Menschenhandel im Zusammenhang mit Zwangsarbeit, beispielsweise im Agrarsektor oder im Baugewerbe und beim Organhandel, bekämpft werden.

7. Antiterrormaßnahmen

7.1. Absolutes Verbot von Folter

165. Das Zusammentragen von Datenmaterial durch Geheim- beziehungsweise Polizeidienste, die im Ausland im Zusammenhang mit Antiterrormaßnahmen tätig sind, hat bedeutende Auswirkungen im Hinblick auf das Verbot von Folter, vor allem wenn Terrorverdächtige ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren inhaftiert sind und inhumanen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt waren. Die Beteiligung deutscher Geheimdienst- und Polizeibeamter an Befragungen und Verhören Terrorverdächtiger im Ausland wurde in der jüngsten Vergangenheit in Deutschland intensiv diskutiert.

166. Einer der Fälle betrifft Muhammad Haydar Zammar, einen in Syrien geborenen deutschen Staatsangehörigen, der 2001 in Marokko inhaftiert und anschließend nach Syrien verbracht wurde. Zammar wird verdächtigt, engen Kontakt zu den Piloten des 11. September unterhalten zu haben, die in Hamburg gelebt hatten. Zammar war ohne Anklage wegen einer Straftat und ohne Kontakt zu einem Rechtsanwalt beziehungsweise einem Familienangehörigen in Syrien inhaftiert. Berichten zufolge wurde er in Syrien gefoltert und einer verlängerten Isolationshaft unterzogen. Die deutsche Presse hatte berichtet, dass im November 2002 fünf Beamte des Bundeskriminalamtes, des deutschen Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz – der Inlandnachrichtendienst – nach Syrien gereist sind, um Zammar zu vernehmen, gegen den damals in Deutschland wegen terroristischer Straftaten ermittelt wurde.

167. Ein weiterer Fall ist der des in Bremen geborenen und in Deutschland wohnhaften türkischen Staatsbürgers Murat Kurnaz, der im Jahr 2001 von den pakistanischen Behörden in Haft genommen wurde. Anschließend wurde er den amerikanischen Streitkräften übergeben und nach Guantánamo verbracht. Im August 2006 wurde Kurnaz freigelassen und kehrte nach Deutschland zurück. Er wurde im September 2002 in Guantánamo von deutschen Sicherheitsbehörden verhört. Zu diesem Zeitpunkt zogen die amerikanischen Behörden angeblich in Betracht, Kurnaz gemeinsam mit einer größeren, in Guantánamo festgehaltenen Gruppe freizulassen. Inzwischen sind in Deutschland Untersuchungen eingeleitet worden, damit der Fall geklärt und festgestellt wird, welche Verantwortung deutsche Behörden an Kurnaz’ widerrechtlicher und inhumaner Inhaftierung in Guantanamo trifft68.

168. Mohamedou Ould Slahi, ein mauretanischer Staatsangehöriger, der für die CIA als einer der Hauptverdächtigen für die Terroranschläge des 11. September galt, wurde 2002 auch von deutschen Nachrichtendienstbeamten in Guantánamo befragt. Im Dezember 2005 informierte der Bundesinnenminister die Öffentlichkeit über die Vernehmung zweier Häftlinge in Guantánamo durch deutsche Beamte.

169. Das Parlamentarische Kontrollgremium, das die Tätigkeit der Nachrichtendienste kontrolliert, kam zu dem Schluss, dass die Vernehmungen von Zammar, Kurnaz und Ould Slahi aufgrund von Hinweisen auf eine Terrorzelle in Hamburg notwendig waren.69 Alle drei Fälle werden derzeit von einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages geprüft, der im April 2006 eingesetzt wurde.70

170. Der Kommissar ist besorgt über die von deutschen Beamten durchgeführten Vernehmungen Terrorverdächtiger, die ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert und angeblich gefoltert worden sind. Bei Verhören unter widerrechtlichen Bedingungen wird die extrem schwache Position des Häftlings ausgenutzt. Das Verbot von Folter verpflichtet die Staatsbeamten nicht nur dazu, sich jeglicher erniedrigender und inhumaner Behandlung oder Folter zu enthalten, sondern beinhaltet die Verpflichtung, den Personen einen angemessenen Schutz gegen derartig schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zukommen zu lassen.71

171. Das Verbot von Folter und inhumaner oder erniedrigender Behandlung beziehungsweise Bestrafung gehört zu den grundlegenden Werten einer demokratischen Gesellschaft. Im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention lässt das Verbot von Folter keinerlei Einschränkungen oder Ausnahmen zu, noch nicht einmal im Falle eines öffentlichen Notstands, der das Leben einer Nation bedroht.

172. Der Kommissar wirbt nachdrücklich für die Erarbeitung klarer Leitlinien für die Nachrichtendienste und alle Polizeibehörden für die Vernehmung von Häftlingen im Ausland. Menschen, die ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert sind, denen der Zugang zu einem Rechtsanwalt verweigert wird und die stark gefährdet sind, einer inhumanen oder erniedrigenden Behandlung beziehungsweise Folter ausgesetzt zu werden, sollen nicht verhört werden, noch

nicht einmal zu Ermittlungszwecken. Der Kommissar begrüßt die neuen, von den deutschen Behörden im Mai 2006 herausgegebenen Richtlinien, die es der Bundespolizei nicht erlauben, an Befragungen Terrorverdächtiger durch Geheimdienste im Ausland teilzunehmen.

173. Der Fall Zammar, für den die Anklage in Syrien die Todesstrafe forderte, teilweise gestützt auf Informationen, die von deutschen Geheimdiensten geliefert wurden, und der anschließend im Februar 2007 durch ein syrisches Gericht zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, veranschaulicht die Menschenrechtsdimension der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit. Der Informationsaustausch zwischen Nachrichtendiensten von Staaten, die keine wirksamen Schutzmaßnahmen gegen Folter haben und in denen der Grundsatz eines fairen Verfahrens nicht ausreichend gewahrt wird, soll detaillierten Leitlinien unterliegen, die einer Beteiligung Deutschlands an derartig gravierenden Menschenrechtsverletzungen vorbeugen.

174. Außerdem wirft das Vertrauen in Informationen, die von ausländischen Nachrichtendiensten bei Gerichtsverfahren geliefert wurden, ernstzunehmende Fragen im Hinblick auf das absolute Verbot der Verwendung von unter Folter erwirkten Beweismitteln auf. Der Kommissar teilt die vom UN-Sonderberichterstatter über Folter zum Ausdruck gebrachte Besorgnis in Bezug auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg im Fall El Motassadeq aus dem Jahr 2005.72 Mounir El Motassadeq war angeklagt, an der Planung der Anschläge vom 11. September beteiligt gewesen zu sein. Das Gericht akzeptierte die Verwendung der vollständigen Zusammenfassungen der Zeugenaussagen dreier Al-Qaida-Verdächtiger gegenüber den Behörden der Vereinigten Staaten, obschon diese Personen einer Isolationshaft ausgesetzt waren und die ernsthafte Besorgnis bestand, dass die Aussagen unter Folter zustande gekommen waren. Anzumerken ist auch, dass Isolationshaft bereits gleichbedeutend mit Folter sein kann. Nach Dafürhalten des Kommissars müsste der Beweis ohne vernünftigen Zweifel, dass das Beweismaterial nicht unter diesen widerrechtlichen Bedingungen zusammengetragen wurde, künftig von der Staatsanwaltschaft und nicht mehr vom Angeklagten erbracht werden.

7.2. Außerordentliche Überstellungen

175. Bei außerordentlichen Überstellungen können die Menschenrechte auf vielfältige Weise verletzt werden, darunter die widerrechtliche Verhaftung oder Inhaftierung und die Verweigerung der Inanspruchnahme von Rechtsmitteln.73 Eine Person, die widerrechtlich in einem Land inhaftiert war und unrechtmäßig in ein anderes Land verbracht wurde, kann Gefahr laufen, ein Opfer von Folter und/oder erzwungenem Verschwinden zu werden.

176. Der Fall des deutschen Staatsbürgers Khaled El Masri, der im Jahr 2003 in Mazedonien inhaftiert war und anschließend von der CIA nach Afghanistan verschleppt wurde, hat enorme internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. El Masri machte geltend, während seiner fünfmonatigen Isolationshaft gefoltert worden zu sein. Nachdem die amerikanischen Behörden seine Unschuld festgestellt hatten, wurde er im Mai 2004 freigelassen. Der im Juni 2006 herausgegebene Bericht von Senator Dick Marty an die Parlamentarische Versammlung des Europarats über mutmaßliche geheime Inhaftierungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen zwischen Staaten bezieht sich ausführlich auf den Fall und macht geltend, dass El Masri Besuch von einem in dem Bericht namentlich erwähnten Beamten des deutschen Geheimdienstes erhielt, der ihn später nach Europa begleitet hat.74 Nach El Masris Rückkehr nach Deutschland hat er durch seinen Rechtsbeistand Anzeige wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung erstattet, woraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Im Januar 2007 erwirkte die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung sowie der gefährlichen Körperverletzung Haftbefehle gegen 13 CIA-Mitarbeiter.

177. Im Februar 2006 ist das deutsche Parlamentarische Kontrollgremium in seiner Stellungnahme zum Bericht der Bundesregierung über die nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung zu dem Ergebnis gelangt, dass es keine Hinweise darauf gab, dass der deutsche Geheimdienst über die Haft El Masris informiert gewesen sei und dass ein Geheimdienstbeamter ihn nach seiner Freilassung nach Europa begleitet habe.75 Der Deutsche Bundestag griff den Fall auf und setzte einen Untersuchungsausschuss ein, der weiter ermitteln sollte, ob die deutsche Bundesregierung, der Geheimdienst oder sonstige staatliche Behörden über El Masris geheime Haft bereits zu einem früheren Zeitpunkt unterrichtet waren und ob ein deutscher Geheimdienstbeamter El Masri besucht und begleitet hat. Im Laufe der Anhörungen durch den Untersuchungsausschuss konnte die Behauptung, dass El Masri ein Besuch abgestattet und später von einem deutschen Geheimdienstbeamten nach Europa begleitet worden war, nicht aufrechterhalten werden. Während der vorliegende Bericht verfasst wurde, dauerten die strafrechtlichen Ermittlungen und die Ermittlungen im Untersuchungsausschuss noch an.

178. Der Kommissar ruft Deutschland auf, sämtliche Fälle mutmaßlicher außerordentlicher Überstellungen, die auf deutschem Hoheitsgebiet durchgeführt wurden oder an denen deutsche Staatsbürger oder Personen mit ständigem Aufenthaltsort Deutschland, beteiligt waren, umfassend aufzuklären. Es sollen wirksame Maßnahmen verabschiedet werden, um künftig ungesetzliche Überstellungen zu verhindern.

7.3. Datenschutz und das Recht auf Privatsphäre

179. Im Rahmen der Antiterroraktivitäten verstößt die Ausdehnung der Befugnisse mit Blick auf Untersuchungs- und Überwachungsmethoden oftmals gegen das Recht auf Privatsphäre, Datenschutz und Selbstbestimmung über persönliche Informationen. Der Kommissar legt dar, dass Beschränkungen des Rechts auf Privatsphäre und Datenschutz ständig überprüft wurden, um festzustellen, ob die durchgeführten Maßnahmen notwendig, angemessen, verhältnismäßig und gesetzlich begründet sind.

180. Die kontinuierlich wachsende Zahl der Telefonüberwachungen lässt Bedenken aufkommen, ob diese stets als ultima ratio eingesetzt werden.76 Der Kommissar ist sich gleichwohl natürlich der Bedeutung der Telekommunikationsüberwachung als einem investigativen Mittel bewusst. Die Verwendung des durch Telefonüberwachung oder sonstige Formen der verdeckten Ermittlung gesammelten Datenmaterials soll jedoch strikt auf den Zweck der Untersuchung schwerer Verbrechen beschränkt sein, und Überwachungsmaßnahmen sollen von einem Richter genehmigt werden und Ex-post-Ansprüche aller betroffenen Personen vorsehen.

181. Die Gerichte, in erster Linie das Bundesverfassungsgericht, spielen eine entscheidende Rolle bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit derartiger Ermittlungsinstrumente in Deutschland. Im April 2006 erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass die Rasterung der Daten77 von Muslimen nach den Anschlägen vom 11. September gegen das Grundrecht auf Selbstbestimmung über persönliche Informationen verstößt.78 Dem Bundesverfassungsgericht zufolge war die präventive Datenrasterung unzulässig, sofern nicht eine konkrete Bedrohung aufgrund objektiver Umstände vorlag. Eine ständige terroristische Bedrohung wurde daher als unzureichend und zu vage für die Rechtfertigung derart extensiver Untersuchungsbefugnisse erachtet. Insgesamt wurden acht Millionen Informationen über annähernd 300.000 Personen gesammelt, ohne dass es zu Anklagen oder sonstigen relevanten Ermittlungsergebnissen kam. Das Bundesverfassungsgericht legte insbesondere dar, dass extrem viele unschuldige Personen von diesen unspezifizierten Untersuchungsmaßnahmen betroffen waren und dadurch eine gefährliche Stigmatisierung bestimmter Personengruppen entstand, im vorliegenden Fall der muslimischen Bevölkerung.

182. Im März 2004 entschied das Bundesverfassungsgericht über die Lauschangriffe und erklärte die akustische Überwachung von Privathäusern, mit der die grundlegende Privatsphäre verletzt wird, für verfassungswidrig. Laut Bundesverfassungsgericht darf eine solche Überwachung nicht erfolgen, wenn sie den absoluten Schutz der Privatsphäre, einschließlich der Gespräche mit engen Familienangehörigen, Rechtsanwälten und Ärzten, verletzen könnte. Deshalb muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass nicht nur die Verwendung solcher Daten als Beweismittel verboten ist, sondern bereits das Sammeln von Datenmaterial. Die Bundesregierung hat verschiedene Änderungen für die Rechtsvorschriften vorgeschlagen und gleichzeitig unterstrichen, dass die akustische – strengen Auflagen unterliegende - Überwachung für eine verbesserte Bekämpfung des organisierten Verbrechens, des Terrorismus und sonstiger Bedrohungen der Sicherheit unerlässlich ist.

183. In beiden Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht die relevanten Ermittlungstechniken nicht als solche verboten, jedoch ihren Einsatz mit der Begründung des Schutzes des Grundrechts auf Privatsphäre eingeschränkt. Der Kommissar unterstreicht, dass die Menschenrechte nicht als Hindernis für Polizeioperationen, sondern eher als Beitrag zu deren Professionalisierung angesehen werden dürfen. Aufgrund der Menschenrechtsstandards sind die Polizeibehörden verpflichtet, bei der Erstellung von Datenprofilen präzise vorzugehen und von ineffizienter und übermäßiger Datensammlung abzusehen. In anderen Fällen könnte die gebührende Achtung der Menschenrechte mehr Mittel oder detaillierte Schutzmaßnahmen als bei der akustischen Überwachung erfordern.

184. Präventive Untersuchungsmaßnahmen können eine negative Auswirkung auf die öffentliche Wahrnehmung einer bestimmten Personengruppe haben und die Position ihrer einzelnen Mitglieder zunehmend schwächen. Vertreter in Deutschland lebender Muslime informierten den Kommissar darüber, dass Polizei- und Sicherheitsdienste auf der Suche nach Informationen und Dateien über Mitglieder der betroffenen Religionsgemeinschaften Razzien in Moscheen durchgeführt haben. Der Kommissar betont, dass solche hochsensiblen Operationen nach den strengen Regeln der Verhältnismäßigkeit und unter Vermeidung einer generellen Profilerstellung auf der Grundlage der religiösen Überzeugung oder der ethnischen Herkunft erfolgen müssen. Zwar können sich energische Maßnahmen für die Bekämpfung ernsthafter terroristischer Bedrohungen als erforderlich erweisen, aber gleichzeitig sind alle erdenklichen Anstrengungen zu unternehmen, um die Stigmatisierung einer Volks- oder Religionsgruppe zu vermeiden.

185. Der Kommissar begrüßt die Pläne der Bundesregierung, die Voraussetzungen für die Telefonüberwachung zu verschärfen und den Rechtsschutz der betroffenen Personen zu verstärken. Ziel des im November 2006 vorgestellten neuen Gesetzentwurfs soll die Neuorganisation der Telefonüberwachung bei strafrechtlichen Verfahren und die Einbeziehung der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Anforderungen und Beschränkungen sein.

7.4. Terrorismusbekämpfungsgesetz

186. Die Verabschiedung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes in Deutschland geht auf die späten sechziger Jahre zurück. Die deutschen Rechtsvorschriften sind sektorübergreifend und beinhalten spezifische Regelungen im Zusammenhang mit Einwanderung, Asyl, Polizeitätigkeit und Nachrichtendiensten, Telekommunikation und Verbrechensverfolgung allgemein.

187. Nach den Terroranschlägen vom 11. September, die zum Teil in Deutschland geplant und vorbereitet worden waren, verabschiedete der Bundestag Ende 2001 und Anfang 2002 die so genannten Sicherheitspakete I und II. Damit terroristische Aktivitäten besser aufgedeckt werden können, dehnte die neue Gesetzgebung den Anwendungsbereich der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nachrichtendiensten aus und erweiterte die Befugnisse der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes und der Geheimdienste.

188. Bedingt durch die Einführung neuer Ermittlungsbefugnisse und anderer Formen des Eingriffs in durch die Verfassung garantierte Rechte sah das Terrorismusbekämpfungsgesetz79 eine Klausel für die zeitliche Begrenzung vor, die im Januar 2007 auslaufen sollte. Ferner forderte es die Evaluierung von Einzelvorschriften vor Ablauf dieser Frist. Die Anforderungen zur Überprüfung der neuen Sicherheitsgesetzgebung stellen einen wichtigen Schutz dar, damit ihre Auswirkungen auf die Menschenrechte erforderlichenfalls im Hinblick auf die Änderung der Rechtsvorschriften bewertet werden können. Das Gesetz selbst sagt jedoch nichts über das Verfahren und die Kriterien für die geforderte Überprüfung aus.

189. Im Mai 2005 legte die Bundesregierung einen Bericht über die neue Gesetzgebung vor und kam zu dem Ergebnis, dass die im Terrorismusbekämpfungsgesetz vorgesehenen erweiterten Untersuchungsbefugnisse unter dem Aspekt ihrer Kollision mit dem Recht auf Privatsphäre und Gleichstellung angemessen, notwendig und verhältnismäßig sind. Mit wenigen Ausnahmen, die geringfügige Änderungen erfordern, schlug die Regierung vor, das Gesetz ohne eine weitere Klausel für die zeitliche Begrenzung zu verlängern.

190. Der Kommissar erkennt die Bemühungen der Bundesregierung bei der Berichterstattung über die Anwendung der neuen Rechtsvorschriften an. Damit jedoch ein Überprüfungsprozess sichergestellt werden kann, bei dem auch die Meinung unabhängiger Experten und Menschenrechtsorganisationen berücksichtigt wird, ermuntert der Kommissar den Gesetzgeber, die Kriterien und das Verfahren für eine solche Überprüfung genauer festzulegen.

191. Im Januar 2007 wurden weitere Antiterrorrechtsvorschriften vom Bundestag beschlossen, die die Befugnisse der Bundespolizei erweitert und neue Informationssysteme für Antiterrormaßnahmen zur Verbesserung der Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsdiensten und der Polizei geschaffen haben. Das Paket beinhaltete ein Gesetz über die Antiterrordatei, das eine gesetzliche Grundlage für gemeinsame Datenbanken von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten bildet. Im Rahmen des Gesetzes werden allgemeine Hintergrundinformationen wie Name, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und Sprache in einer Indexdatei verarbeitet, auf die alle Polizei- und Nachrichtendienststellen Zugriff haben. Eine zweite, ausführlichere Datenbank mit Informationen über Bankkonten, Volkszugehörigkeit, Religion, die Fähigkeit mit Waffen und Sprengstoff umzugehen und besuchte Orte oder Regionen ist lediglich einem begrenzten Kreis von Beamten beziehungsweise in Notstandssituationen für die Feststellung einer unmittelbaren Bedrohung der Sicherheit zugänglich.80

192. Es gelten mehrere Datenschutzmaßnahmen, darunter die vollständige Aufzeichnung aller Zugriffe auf die Datenbank und mögliche Ad-hoc-Kontrollen durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Datenschutzbehörden auf Länderebene. Dennoch haben eben diese Datenschutzorgane ihre ernsthafte Besorgnis bezüglich der in der Verfassung verankerten Forderung nach Trennung der Befugnisse zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten81 geäußert. Da die Polizeibehörden unter bestimmten Umständen Zugriff auf die geheimdienstlichen Daten haben können, sollen die Kriterien für die in der Datei zu erfassenden Personen äußerst präzise sein. Das ist besonders wichtig, da so genannte weiche Daten über allgemein gesetzmäßige Aktivitäten als Grundlage für die Erfassung in den Antiterrordateien dienen können. Die Datenschutzorgane fordern auch, dass der Gesetzgeber die zugriffsberechtigten Behörden für die Dateien genauer definiert.

193. Nach dem fehlgeschlagenen Terroranschlag der beiden islamistischen Kofferbomber im August 2006 plant die Bundesregierung den Ausbau der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen. Dem Beauftragten für den Datenschutz zufolge sind in diesen Fällen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Effizienz anzuwenden. Besteht eine Verbindung zwischen der Videoüberwachung und der automatischen Erkennung von Einzelpersonen im Zusammenhang mit biometrischen Datenbanken, so soll ihre kumulative Auswirkung auf das Recht auf Privatsphäre bewertet werden, um die Verhältnismäßigkeit festzustellen.

194. Der Kommissar erkennt die Notwendigkeit der Sammlung und Verarbeitung von für die Erkennung und Verhinderung terroristischer Aktivitäten relevanten Daten uneingeschränkt an. Angesichts der hohen Fehlerquote im Zusammenhang mit Präventivuntersuchungen müssen die entsprechenden Rechtsvorschriften jedoch so genau wie möglich sein, indem die Kriterien für die Erfassung in einer Antiterrordatei sowie für deren Nutzung identifiziert werden. Der Kommissar unterstreicht, dass unbedingt jegliche Stigmatisierung der großen Mehrheit unschuldiger Personen vermieden werden muss. Eine unabhängige Überprüfung der Nutzung und der Auswirkung dieser Dateien ist äußerst notwendig, um die Eignung, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu analysieren. Die auf fünf Jahre begrenzte Geltungsdauer der Rechtsvorschriften stellt eine zusätzliche Schutzmaßnahme dar, die eine politische Überprüfung der Zweckmäßigkeit des Gesetzes gewährleistet.

8. Strafvollzug und Haft

195. Nach Inkrafttreten der Föderalismusreform im September 2006 ging die Legislativbefugnis für die Vollstreckung von Urteilen vom Bund auf die Länder über. Rechtsexperten sowie Richtervereinigungen haben sich besorgt darüber geäußert, dass die Verlagerung von Zuständigkeiten nicht nur zur Rechtsfragmentierung, sondern auch zu einer Absenkung der Standards führen könnte, wenn dem Grundsatz der Kosteneffizienz Vorrang vor den auf Bundesebene festgelegten Standards eingeräumt wird. Das Bundesgesetz über die Vollstreckung von Urteilen zum Beispiel legte die gesellschaftliche Wiedereingliederung Gefangener als Hauptziel des Strafvollzugs fest. Der Kommissar empfiehlt, dass sich diese Priorität gleichermaßen in den relevanten Rechtsvorschriften auf Länderebene widerspiegeln soll. Er ruft alle Bundesländer, die gerade die relevanten Rechtsvorschriften ausarbeiten dazu auf, die vom Ministerkomitee des Europarats im Januar 2006 beschlossenen Europäischen Gefängnisregeln zu berücksichtigen.82

196. Der Tod eines jugendlichen Gefangenen in Nordrhein-Westfalen, der von seinen Mitgefangenen im November 2006 erhängt wurde, nachdem er 12 Stunden lang grausam gefoltert und vergewaltigt worden war, ist besonders schockierend und alarmierend. Darin zeigt sich, dass ein struktureller Personalmangel beziehungsweise eine unzulängliche Dienstaufsicht tatsächlich der Verpflichtung der Gefängnisbehörden zuwiderlaufen, die Insassen vor Gewalt unter den Gefangenen zu schützen. Eine wichtige Schutzmaßnahme ist die Bereitstellung von Einzelzellen, wenn ein Insasse aus Furcht vor Belästigung oder Angriffen durch andere Gefangene um eine getrennte Unterbringung bittet.

8.1. Jugendgerichtsbarkeit

197. Im Jahr 2006 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, das in der Jugendrechtsprechung spezifische Rechtsvorschriften zur Festlegung von Standards für die Vollstreckung von Urteilen für jugendliche Straftäter in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Verfassung fehlen. Das Gericht setzte bis Ende 2007 eine Frist für die Verabschiedung angemessener Rechtsvorschriften. Die deutschen Behörden haben den Kommissar unterrichtet, dass die Gesetzesreform in diesem Bereich auf den Weg gebracht ist, um die vom Verfassungsgericht gesetzte Frist einzuhalten.

198. Der Kommissar erinnert daran, dass der Freiheitsentzug bei Kindern und Jugendlichen zu einer erhöhten Zahl von Wiederholungstätern führt. Er unterstrich, dass Festnahme, Gewahrsam und Inhaftierung bei jugendlichen Straftätern gemäß der UN-Konvention über die Rechte der Kinder nur als letzter Ausweg und für den kürzestmöglichen Zeitraum angewendet werden dürfen.

199. Die Zahl jugendlicher Strafgefangener schwankt zwischen den Bundesländern erheblich. Das kann mit den unterschiedlichen politischen Maßnahmen in Bezug auf die Entlassung auf Bewährung und auf die Urteilspraxis bei Gewaltverbrechen zusammenhängen. Besorgt merkt der Kommissar an, dass die Zahl der jugendlichen Straftäter im offenen Vollzug, in den letzten Jahren beträchtlich zurückgegangen ist.83 Verglichen mit den Erwachsenen liegt die Quote der Jugendlichen im offenen Vollzug deutlich niedriger. Das ist besonders problematisch, da diese alternativen Haftbedingungen für die Förderung der Wiedereingliederung von wesentlicher Bedeutung sind.

200. Der Kommissar begrüßt es, dass alternative Sanktionsmaßnahmen, darunter die Vermittlung zwischen Opfern und Straftätern, in allen Bundesländern vorgesehen sind. Einige Experten und Sozialarbeiter zeigten sich beunruhigt darüber, dass solche Maßnahmen aufgrund finanzieller Einschnitte auf Gemeindeebene möglicherweise in eingeschränkterem Umfang Anwendung finden. Unabhängig von der Art des Sanktionsprozesses soll das straffällige Kind beziehungsweise der jugendliche Straftäter die Möglichkeit haben, die Strafe anzufechten und Rechtsmittel einzulegen. Derzeit sieht das Jugendgerichtsgesetz (JGG) keine Möglichkeit für das Einlegen von Rechtsmitteln gegen das per Gerichtsentscheid festgelegte Ziel erzieherischer Maßnahmen vor, auch wenn gegen die Schuldfrage Rechtsmittel eingelegt werden können. Der Kommissar unterstreicht, dass auch das Ziel pädagogischer Maßnahmen verhältnismäßig und anfechtbar sein müssen.

8.2. Sicherungsverwahrung

201. Nach deutschem Strafrecht kann ein Täter, der ein schwerwiegendes Verbrechen wie zum Beispiel Mord oder Vergewaltigung begangen hat, nach Verbüßen seiner Freiheitsstrafe in Sicherungsverwahrung genommen werden. Eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung kann nur von dem Gericht getroffen werden, das das ursprüngliche Urteil auf der Grundlage eines medizinischen Gutachtens erlassen hat. Die Dauer der Sicherungsverwahrung ist unbegrenzt,

aber sie muss alle zwei Jahre gerichtlich überprüft werden. Die Sicherungsverwahrung kann entweder bereits im Ausgangsurteil auferlegt oder kurz vor Ablauf der Freiheitsstrafe angeordnet werden.

202. Die Sicherungsverwahrung einer Person hat keinen Strafcharakter, sondern soll die allgemeine Öffentlichkeit vor Verbrechen schützen, die der betreffende Täter möglicherweise begehen kann. Infolgedessen sind die Gefängnisbedingungen auf die besondere Situation angepasst, und unnötige Restriktionen gelangen nicht zur Anwendung.

203. Während seines Besuchs hat der Kommissar das Thema der Sicherungsverwahrung mit mehreren Länderbehörden, Richtern und Medizinexperten diskutiert. Der Kommissar ist sich des öffentlichen Drucks bewusst, dem Richter und Ärzte ausgesetzt sind, wenn sie Entscheidungen über die Freilassung einer Person treffen, die möglicherweise ein schweres Verbrechen begehen könnte. Es kann unmöglich mit hundertprozentiger Sicherheit vorhergesagt werden, ob eine Person tatsächlich rückfällig wird. Eine inhaftierte Person, die sich außerhalb der Gefängnismauern möglicherweise anders verhalten kann als während der Haft, wird regelmäßig von Psychiatern beurteilt. Außerdem ist es schwierig, im Vorfeld alle Bedingungen abzusehen, mit denen der Straftäter außerhalb der Haftanstalt konfrontiert sein wird.

204. Der Kommissar ruft zu einer äußerst besonnenen Anwendung der Sicherungsverwahrung auf. Bevor auf die Sicherungsverwahrung zurückgegriffen wird, sollen auch alternative Maßnahmen geprüft werden. Der Kommissar ist besorgt über die steigende Zahl von Personen, denen im Rahmen der Sicherungsverwahrung die Freiheit entzogen wird. Er ermuntert die deutschen Behörden, unabhängige Studien über die Implementierung der Sicherungsverwahrung in Auftrag zu geben, um diese Maßnahme unter dem Aspekt des Schutzes der Allgemeinheit und der Auswirkung der Maßnahme auf die inhaftierte Person zu bewerten.

205. Der Kommissar ist sich auch der vorgeschlagenen Änderungen bewusst, die die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung für jugendliche Straftäter in extremen Fällen zulassen. Der Kommissar fordert die deutschen Behörden auf, diese Vorschläge wegen ihrer extremen Konsequenzen für die jugendlichen Straftäter erneut zu prüfen. Bei jugendlichen Straftätern sollen wenn irgend möglich alternative Maßnahmen zur Anwendung gelangen.

206. Ferner wurde der Kommissar darüber unterrichtet, dass in Sicherungsverwahrung befindliche Personen immer wieder ihre Zukunftsperspektive verlieren und sich selbst aufgeben. Daraus erwächst der Ruf nach psychologischer oder psychiatrischer Betreuung. Die Meinungen der Mediziner können zwar gelegentlich hinsichtlich der Effizienz der Betreuung von Personen in Sicherungsverwahrung auseinander gehen, doch die Möglichkeit ihrer eventuellen Rehabilitierung und Freilassung darf nicht ausgeschlossen werden. Folglich soll den in Sicherungsverwahrung befindlichen Personen eine angemessene medizinische Behandlung oder sonstige Betreuung, die ihrer besonderen Situation gerecht wird, zur Verfügung stehen.

8.3. Implementierung des Zusatzprotokolls zur Konvention gegen Folter

207. Der Kommissar begrüßt die jüngste Entscheidung von Bund und Ländern, das Zusatzprotokoll zur UN-Konvention gegen Folter zu ratifizieren. Das Protokoll verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, eine oder mehrere unabhängige besichtigende Organe zur Verhinderung von Folter oder anderer grausamer, inhumaner oder erniedrigender Behandlungen einzuführen, zu bilden, zu unterhalten oder zu benennen.84 Gemäß einem Konsens zwischen allen Ländern umfasst das derzeitige Vorhaben für die Einrichtung dieses nationalen Präventionsmechanismus in Deutschland eine aus vier ehrenamtlich tätigen Experten bestehende Kommission. Neben diesen vier Experten, die für die unter die Zuständigkeit der Länder fallenden Hafteinrichtungen verantwortlich sein werden, wird eine fünfte Person benannt, die für Haftplätze in Bundeszuständigkeit verantwortlich ist.

208. In Anbetracht des weitgehenden Mandats dieses Präventionsmechanismus, der unterschiedliche Haft- und Verwahrungseinrichtungen bundesweit abdeckt, zweifelt der Kommissar ernsthaft an der Fähigkeit des geplanten Mechanismus, seine Aufgabe zufrieden stellend zu erfüllen. Das Zusatzprotokoll legt fest, dass der Präventionsmechanismus mindestens die Befugnis erhalten soll, regelmäßig die Behandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen wurde, an Haftplätzen zu überprüfen. Die minimalistische Zusammensetzung des vorgeschlagenen Mechanismus würde jedoch höchstwahrscheinlich eine sehr begrenzte Präventivwirkung haben, da er außerstande wäre, bundesweit regelmäßige Besuche durchzuführen. Die Besorgnisse des Kommissars hinsichtlich des geplanten Präventivmechanismus wurden während des Besuchs von den Bundesbehörden akzeptiert.

209. Der Kommissar ruft die zuständigen Behörden und insbesondere die Länder auf, ihre Pläne für die Umsetzung des Zusatzprotokolls zu überarbeiten und einen wirksamen Präventionsmechanismus zu schaffen, der Zweck und Ziel des Protokolls besser gerecht wird. Das könnte im Zusammenhang mit einer breiter angelegten Reform erreicht werden, die mit Blick auf die Beschwerden über Misshandlungen durch die Polizei auch eine unabhängige Polizeiüberwachungsfunktion beinhaltet.

210. Bei der Einrichtung des Inspektionsorgans könnte man auf bereits bestehende Strukturen zurückgreifen. Was die Überwachung der Psychiatrieeinrichtungen angeht, so gibt es in allen Bundesländern bereits Mechanismen für regelmäßige Besuche, die erweitert werden könnten, damit sie den Anforderungen des Zusatzprotokolls entsprechen. Die bestehenden Ausschüsse, die unter spezifischen rechtlichen Rahmenbedingungen arbeiten, wurden nach föderalen Strukturen eingerichtet und sind Teil eines Systems psychiatrischer Kontrollinstitutionen. Aus diesem Grund müssten ihre Zusammensetzung und strukturelle Unabhängigkeit gestärkt und ihre Untersuchungsbefugnisse erweitert werden, damit sie mit den Anforderungen des Zusatzprotokolls in Einklang gebracht werden.

9. Empfehlungen

In Übereinstimmung mit Artikel 3 Buchstaben b, c und e und mit Artikel 8 der Entschließung (99) 50 des Ministerkomitees empfiehlt der Kommissar, dass die deutschen Behörden:

Nationales Menschenrechtsschutzsystem

1. das Protokoll Nr. 12 zur Europäischen Menschenrechtskonvention und die geänderte Europäische Sozialcharta mit den Zusatzprotokollen, in denen zusätzliche Rechte und ein Mechanismus der Kollektivbeschwerde vorgesehen sind, ratifizieren;

2. die Einrichtung parlamentarischer Menschenrechtsausschüsse auf Länderebene prüfen;

3. die Unabhängigkeit außergerichtlicher Beschwerdeorgane, soweit möglich, fördern und sicherstellen, dass Beschwerden auf der Grundlage klarer Verfahren behandelt werden;

4. der breiten Öffentlichkeit falls möglich leicht zugängliche Informationen über die verfügbaren außergerichtlichen Beschwerdeorgane auf Bundes- und Länderebene, einschließlich der Informationen über deren Mandate und Verfahren, bereitstellen;

5. das Mandat des Deutschen Instituts für Menschenrechte im Hinblick auf strukturelle und objektive Überwachung und bezüglich seiner beratenden Rolle im Prozess der Ausarbeitung von menschenrechtsrelevanten Rechtsvorschriften stärken;

6. unabhängige Polizeiüberwachungs- und Beschwerdemechanismen außerhalb der polizeilichen und ministeriellen Strukturen schaffen und zentral umfassendes Datenmaterial über angebliche Misshandlungen oder Fehlverhalten seitens der Polizei sammeln;

7. systematisch und regelmäßig im Bereich der Menschenrechte tätige Organisationen der Zivilgesellschaft zu Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen, die Auswirkungen auf die Menschenrechte haben, konsultieren;

8. die Integration von Lehrmethoden für Menschenrechte durch vorberufliche und berufsbegleitende Aus- und Weiterbildung von Lehrern intensivieren und weiterentwickeln sowie die Institutionalisierung der Menschenrechtserziehung für andere Berufe verstärken;

9. den nationalen „Aktionsplan Menschenrechte“ als einen koordinierten Prozess für die kontinuierliche Verbesserung des Schutzes der Menschenrechte in Deutschland durch die Beteiligung aller Akteure und die Festlegung klarer politischer Ziele und Strategien für ihre Erreichung entwickeln;

Verhinderung von Diskriminierung

10. die Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung bei der Vermietung von Wohnraum aus dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz streichen oder klarstellen und die Verlängerung der Fristen für Beschwerden auf der Grundlage des Gesetzes erwägen;

11. relevante Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf Bundes- und Länderebene prüfen, um festzustellen, ob sie dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz entsprechen;

12. gewährleisten, dass die Antidiskriminierungsstelle mit den für die wirksame Ausübung ihres Mandats erforderlichen Ressourcen und der notwendigen Unabhängigkeit ausgestattet ist und dass ihre Aufgaben in der breiten Öffentlichkeit umfassend bekannt sind;

13. die Verfahrensregeln für die Anwendung des Grundsatzes der gleichen Bezahlung für gleichwertige Arbeit zwischen unterschiedlichen Beschäftigungssektoren spezifizieren;

14. die Einführung von Kollektiv- oder Sammelklagen, durch die Klägergruppen die Möglichkeit erhalten, sektorbezogene Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in Frage zu stellen, prüfen;

15. politische Strategien entwickeln, damit Frauen und Mädchen mit Behinderungen wirksamer vor sexueller Gewalt geschützt werden und sicherstellen, dass Hilfs- und Beratungsdienste für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, gleichermaßen Frauen und Mädchen mit Behinderungen zur Verfügung stehen;

16. die Integrationsquote von Kindern mit Behinderungen beim gemeinsamen Unterricht mit nicht behinderten Kindern erhöhen und Verfahren prüfen, die bei der Auswahl der Schüler für Sonderschulen angewendet werden, so dass sie nicht unnötig die Integrationsbemühungen behindern;

Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus

17. politische Antworten auf rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen entwickeln, die auf alle Teile der Bevölkerung abzielen, wie zum Beispiel Menschenrechts- und Demokratieschulungen ebenso wie die Förderung von Aktivitäten der Zivilgesellschaft gegen antidemokratische Tendenzen;

18. Hilfsorganisationen für Opfer, mobile Beratungsteams und sonstige Selbsthilfeinitiativen, die fremdenfeindliche und rassistische Tendenzen in lokalen Gemeinschaften ermitteln und diesen entgegenwirken, weiterfinanzieren;

19. eine strafrechtliche Vorschrift vorsehen, die explizit auf die rassistische Motivation als einen erschwerenden Faktor bei der Urteilsfestlegung verweist;

20. die Schaffung einer zentralen Datenbank mit qualitativen und quantitativen Daten, die Beratungseinrichtungen von Opfern oder Zeugen im Zusammenhang mit rassistischen oder fremdenfeindlichen Vorfällen gemeldet wurden, in Erwägung ziehen;

21. die Stigmatisierung in Deutschland lebender Zuwanderer, Asylbewerber, ethnischer oder religiöser Gruppen im Zusammenhang mit der politischen Diskussion vermeiden und die Rechtsvorschriften in Verbindung mit Einbürgerung, Einwanderung, Asyl oder Terrorismusbekämpfung erlassen;

22. Deutschlands Funktion als Einwanderungsland thematisieren, indem ausdrücklich der positive Beitrag der Zuwanderer für die deutsche Gesellschaft anerkannt wird;

Schutz nationaler Minderheiten

23. die Kriterien für den persönlichen Bereich nationaler Minderheiten pragmatisch und vernünftig anwenden, damit nicht unnötige Ungleichheiten, besonders im Hinblick auf Roma/Sinti mit oder ohne deutscher Staatsbürgerschaft, geschaffen werden;

24. die Datensammlung über die sozioökonomische Lage der nationalen Minderheiten mit der gebührenden Achtung des Schutzes der Privatsphäre und in Zusammenarbeit mit den betroffenen Minderheitengemeinschaften verbessern;

25. besondere Maßnahmen ergreifen, darunter umfassende Strategien auf Bundes- und Länderebene, um die Lage der Roma und Sinti zu verbessern, um die Nachteile durch die anhaltende Diskriminierung zu überwinden, und bundesweit ein einheitliches Schutzniveau sicherzustellen;

26. die Beteiligung der sorbischen Minderheit an der Entscheidungsfindung über die Beibehaltung eines lebensfähigen sorbischen Schulnetzes in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg stärken;

Armut

27. umfassende politische Maßnahmen entwickeln, um die Kinderarmut anzugehen und die Bildungschancen für in Armut lebende Kinder zu verbessern;

28. politische Maßnahmen als Reaktion auf das aufkommende Phänomen der erwerbstätigen Armen verabschieden und die Einführung von Mindestlöhnen in Erwägung ziehen;

29. sicherstellen, dass älteren Menschen, ungeachtet ihres sozialen Status, Pflege in Würde angeboten wird und klare Leitlinien über die Bereitstellung von Pflege in Würde vorsehen.

Asyl und Einwanderung

30. die asylrelevanten EU-Richtlinien zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes und in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention implementieren;

31. die Gründe für den Schutz von Flüchtlingen anwenden, damit die Verfolgung wegen offenkundiger religiöser sowie sexueller Ausrichtung abgedeckt wird;

32. die derzeitige Praxis der Aberkennung des Flüchtlingsstatus überprüfen, um sicherzustellen, dass Aberkennungen nur erfolgen, wenn die mit der ursprünglichen Entscheidung zusammenhängenden Umstände für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus sich so grundlegend geändert haben, dass eindeutig die Grundlage für die Furcht vor Verfolgung dauerhaft nicht mehr besteht;

33. abgelehnten Asylbewerbern und insbesondere Familien mit Kindern, die über mehrere Jahre im Besitz einer Kettenduldung waren, Aufenthaltserlaubnisse gewähren;

34. Asylsuchende zwischen 16 und 18 Jahren als Minderjährige behandeln und die deutsche Erklärung zur Kinderrechtskonvention zurückziehen;

35. Asylbewerbern ab dem Beginn des Antragsverfahrens kostenlos Rechtshilfe zur Verfügung stellen;

36. Alternativmöglichkeiten für die Unterbringung von Asylbewerbern nach ihrem anfänglichen Aufenthalt in den Erstanlaufstellen unter Achtung der Privatsphäre von Asylsuchenden prüfen und sie in die Lage versetzen, ein hohes Maß an persönlicher Autonomie zu behalten;

37. die Verhältnismäßigkeit der Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern, insbesondere in Fällen langjähriger Antragsteller, überprüfen;

38. die medizinische Versorgung für die Grundbehandlung von Krankheit für alle Asylbewerber zur Verfügung stellen;

39. Leitlinien über Mindeststandards für die Unterbringung von Asylbewerbern erarbeiten, um sicherzustellen, dass allen Asylsuchenden ein adäquater Lebensstandard geboten wird;

40. die Abschiebungshaft auf Fälle beschränken, in denen sie umfassend gerechtfertigt und es klar ist, dass die Abschiebung tatsächlich in der unmittelbaren Zukunft durchgeführt werden kann, so dass die Dauer der Abschiebungshaft normalerweise nicht über mehrere Wochen hinausgeht;

41. kostenlose Rechtsberatung für abgelehnte Asylbewerber, die sich in Abschiebungshaft befinden, zur Verfügung stellen, so dass sie Rechtsmittel einlegen können, um die Begründung ihrer Inhaftierung anzufechten;

42. die Rechtsvorschriften für die Einbürgerung mit Blick auf die Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft überprüfen;

43. den Familienangehörigen von Flüchtlingen das Recht auf Familienzusammenführung ohne Einschränkungen im Hinblick auf den verfügbaren Wohnraum beziehungsweise die finanziellen Ressourcen gewähren;

44. sicherstellen, dass illegale Zuwanderer ihre Rechte in Bezug auf die medizinische Versorgung und Bildung wirksam wahrnehmen können;

Antiterrormaßnahmen

45. klare Leitlinien für die Nachrichtendienste für die Befragung von Häftlingen im Ausland erarbeiten;

46. gewährleisten, dass unter unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung beziehungsweise Folter erwirkte Beweismittel in Gerichtsverfahren nicht zulässig sind;

47. sämtliche Fälle außerordentlicher Überstellungen, die auf deutschem Hoheitsgebiet durchgeführt wurden oder an denen deutsche Staatsbürger beziehungsweise seit langem in Deutschland lebende Ausländer beteiligt waren, umfassend untersuchen;

48. strenge Regeln der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf präventive Untersuchungsmaßnahmen anwenden, um eine Profilerstellung einzig auf der Grundlage der religiösen Überzeugung oder der ethnischen Herkunft zu vermeiden;

49. eine unabhängige Bewertung der Antiterrorgesetzgebung durchführen;

50. die Kriterien spezifizieren, nach denen eine Person in der Antiterrordatei erfasst werden kann und klare Leitlinien für die Nutzung der Datenbank vorsehen, einschließlich der Behörden, die Zugriff auf Daten haben können;

Strafvollzug und Haft

51. gewährleisten, dass die Übertragung von Legislativbefugnissen im Hinblick auf die Gefängnisverwaltung nicht zu einer Absenkung der Gefängnisstandards führt und dass die gesellschaftliche Wiedereingliederung von Häftlingen das Hauptziel der Haftstrafe ist;

52. die Unterbringung jugendlicher Straftäter im offenen Vollzug fördern und weiterhin alternative Sanktionsmaßnahmen, darunter die Vermittlung zwischen Opfern und Straftätern, finanzieren;

53. die Möglichkeit vorsehen, dass jugendliche Straftäter Rechtsmittel oder andere unabhängige Überprüfungen gegen per Gerichtsentscheid festgelegte Ziele erzieherischer Maßnahmen einlegen können;

54. die Sicherungsverwahrung äußerst wohlüberlegt anwenden und für Personen in Sicherungsverwahrung eine angemessene medizinische Behandlung oder sonstige Versorgung, die ihrer besonderen Situation gerecht wird, vorsehen;

55. die Pläne für die Implementierung des Zusatzprotokolls zur Konvention gegen Folter überprüfen, so dass ein wirksamer Präventionsmechanismus geschaffen wird, der regelmäßig die Behandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen wurde, an Haftplätzen überprüft.

pp

GG

A N H A N G I

Liste der besuchten oder konsultierten Behörden, Institutionen
und zivilgesellschaftlichen Organisationen

A. Nationale Behörden

1. Bundesbehörden

Bundesministerien

Herr Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales und Vizekanzler

Herr Frank-Walter Steinmeier, Außenminister

Herr Wolfgang Schäuble, Innenminister

Frau Brigitte Zypries, Justizministerin

Frau Ulla Schmidt, Gesundheitsministerin

Bundestag

Frau Herta Däubler-Gmelin, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Herr Volker Beck, Mitglied des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Frau Angelika Graf, Mitglied des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Frau Gabriele Lösekrug-Möller, Mitglied des Petitionsausschusses

Frau Erika Steinbach, Mitglied des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Herr Florian Toncar, Mitglied des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Bundeskanzleramt

Frau Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration

Auswärtiges Amt

Herr Günter Nooke, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe

Herr Ulrich Brandenburg, Stellvertretender Politischer Direktor

Herr Johann Adolf Cohausz, Leiter des Europaratsreferats

Herr Christoph Eick, Leiter des Referats Allgemeines Völkerrecht

Herr Peter Franz Josef Rothen, Leiter des Referats Menschenrechte
Island, Schweiz, Liechtenstein

Herr Thomas Schultze, Stellvertretender Leiter des Europaratsreferats

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Herr Franz Thönnes, Parlamentarischer Staatssekretär

Bundesministerium des Innern

Herr Christoph Bergner, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern

Herr Lothar Freischlader, diplomatischer Berater von Herrn Schäuble

Herr Reinhard Peters, Leiter der Unterabteilung Migrations-, Integrations- und Asylpolitik

Frau Cornelia Rogall-Grothe, Leiterin der Abteilung Verfassungsrecht, Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Europarecht

Bundesministerium der Justiz

Frau Almut Wittling-Vogel, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtsfragen

Herr Hans-Jörg Behrens, Ständiger Vertreter der Beauftragten für Menschenrechtsfragen

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Herr Herman Kues, Parlamentarischer Staatssekretär

Frau Renate Augstein, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle

Bundesministerium für Gesundheit

Frau Helga Kühn-Mengel, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten

Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen

Frau Karin Evers-Meyer

Bundesverfassungsgericht

Herr Hans-Jürgen Papier, Präsident

Frau Elke Luise Barnstedt, Direktorin

Herr Klaus Löffelbein, Persönlicher Referent von Herrn Papier

Bundesgerichtshof

Herr Günter Hirsch, Präsident

Frau Gerda Müller, Vizepräsidentin

Herr Klaus Tolksdorf, Vorsitzender Richter

Herr Gregor Galke, Richter

Frau Katrin Rieke, Richterin, Oberlandesgericht

Büro des Generalbundesanwalts

Frau Monika Harms, Generalbundesanwältin

Herr Rainer Griesbaum, Generalbundesanwalt

Herr Rolf Hannich, Generalbundesanwalt

Frau Annette Böringer, persönliche Sekretärin von Frau Harms

2. Länderbehörden

Land Berlin

Herr Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin

Frau Karin Schubert, Bürgermeisterin und Justizsenatorin

Herr Ehrhart Körting, Innensenator

Herr Ulrich Freise, Staatssekretär, Innensenator

Frau Heidje Köller, Mitarbeiterin der Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz

Frau Maier, Mitarbeiterin der Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz

Frau Kroker-Stille, Leiterin der Senatsleitstelle gegen Diskriminierungen aus ethnischen, religiösen und weltanschaulichen Gründen

Herr Günter Piening, Beauftragter für Migration und Integration

Frau Witt, Gruppenleiterin, Abteilung Medizinische Versorgung

Frau von Zweydorff, Vertreterin des Senators für Wirtschaft, Arbeit und Frauen

Herr Ralf Hillenberg, Vorsitzender des Petitionsausschusses

Herr Günter Krug, Leiter der deutschen Delegation beim Kongress der Gemeinden und Regionen Europas beim Europarat

Herr Jürgen Kipp, Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg

Freistaat Sachsen

Herr Erich Iltgen, Präsident des Sächsischen Landtages

Herr Albrecht Buttolo, Innenminister

Herr Albert Hauser , Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Soziales

Frau Gabriele Hauser, Staatssekretärin im Sächsischen Staatsministerium der Justiz

Herr Hansjörg König, Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Kultus

Frau Friederike de Haas, Ausländerbeauftragte

Herr Lessmann, Referatsleiter, Sächsisches Staatsministerium des Innern

Herr Harald Preusker, Leiter der Abteilung Justizvollzug, Soziale Dienste der Justiz, Justizbau, Sächsisches Staatsministerium der Justiz

Herr Dr. Dirk Reuter, Referent, Sächsisches Staatsministerium der Justiz

Herr Klaus Budewig, Präsident des Oberlandesgerichts, Dresden

Herr Dr. Jörg Schwalm, Generalstaatsanwalt des Freistaates Sachsen

Frau Angelika Pfeiffer, Stellvertretende Vorsitzende des Petitionsausschusses des Landtags

Herr Peter Schowtka, Mitglied der deutschen Delegation beim Kongress der Gemeinden und Regionen Europas beim Europarat

Herr Ihrcke, Stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung "Grundsatzangelegenheiten"

Herr Hubert Heilemann, Chefarzt am Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Arnsdorf

Herr Burghart Jäckel, Leiter der Justizvollzugsanstalt Bautzen

Frau Beatrix Klupp, Funktionsdienstleisterin der Justizvollzugsanstalt Bautzen

Herr Ritter, Leiter Arbeitsbetriebe der Justizvollzugsanstalt Bautzen

Sorbische Region (einschließlich der Vertreter der sorbischen Minderheit)

Herr Vinzent Baberschke, Bürgermeister von Radibor

Herr Christian Baumgärtel, Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung für das sorbische Volk

Frau Budar, Vorsitzende des sorbischen Schulvereins

Herr Hans-Bernd Deutschmann, Direktor des Regionalschulamtes Bautzen

Frau Maria Michalk, Vorsitzende des Rates für sorbische Angelegenheiten, Mitglied des Bundestages

Herr Jan Nuk, Vorsitzender des Bundesvorstands der Domowina – Bund der Lausitzer Sorben

Herr Marko Suchy, Direktor der Stiftung für das sorbische Volk

Herr Bernhard Ziesch, Geschäftsführer der Domowina

Bezirk Bautzen

Herr Christian Schramm, Bürgermeister, Mitglied der deutschen Delegation beim Kongress der Gemeinden und Regionen Europas beim Europarat

Frau Ute Gläser, Leiterin der Abteilung Stadterneuerung beim städtischen Bauamt

Herr Peter Hesse, Stellvertretender Bürgermeister

Herr Hans Eberhard Kaulfürst, Mitglied des Stadtrats und Mitglied des Rates für sorbische Angelegenheiten

Herr Wolfram Leunert, Dezernent für Kultur, Bildung, Bauwesen und Umweltfragen, Kultusministerium

Freistaat Bayern

Herr Günther Beckstein, Innenminister und Stellvertretender Ministerpräsident

Frau Beate Merk, Justizministerin

Herr Alexander König, Vorsitzender des Petitionsausschusses, Landtag

Herr Alfons Zeller, Mitglied der deutschen Delegation beim Kongress der Gemeinden und Regionen Europas beim Europarat

Herr Stefan Frey, Referent, Innenministerium

Herr Karl Huber, Präsident des Oberlandesgerichts München

Herr Christoph Strötz, Generalstaatsanwalt für München

Herr Wilhelm Schmidbauer, Münchner Polizeipräsident

B. Besuchte Einrichtungen

Abschiebehaftanstalt in Köpenick, Berlin

Frauenhaus Bora in Berlin

Sorbische höhere Schule in Radibor

Justizvollzugsanstalt Bautzen

Bundespolizei-Inspektion am Flughafen München

Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in der Rosenheimer Str., München

Justizvollzugsanstalt Stadelheim, München

Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie, Arnsdorf

Pflegeheim im Sunpark, Altenheim in Berlin

C. Nationale Menschenrechtseinrichtung

Deutsches Institut für Menschenrechte

D. Zivilgesellschaftliche Organisationen (unvollständige Liste)

Aktion Courage

Aidshilfe Dresden

AMAL - Opferberatung für Opfer rechtsextremer Gewalt

Amnesty International

Antidiskriminierungsbüro Leipzig

Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin

Ausländerbeirat München

Ausländerrat Dresden

Bayerischer Flüchtlingsrat

Bayerisches Aktionsbündnis gegen Abschiebungshaft

Bundesfachverband Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtlinge

Cabana, Ökumenisches Informationszentrum Dresden

Deutsche Beamtenbund

Deutscher Gewerkschaftsbund

Deutscher Behindertenrat

Deutscher Frauenrat

Deutsches Institut für Menschenrechte

Flüchtlingsrat Berlin

Flüchtlingsrat Leipzig

Forum Menschenrechte

Forum zur Verbesserung der Situation pflegebedürftiger alter Menschen in Deutschland

Gemeinschaft für Menschenrechte im Freistaat Sachsen

German National Focal Point of the EUMC, european forum for migration studies

Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherung

Gesicht zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland

GESOP Dresden, Gesellschaft für die gemeindenahe Sozialpsychiatrische Versorgung

Human Rights Watch

Humanistische Union

Human Rights Centre at the University of Potsdam

Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben

Islamische Gemeinschaft in Deutschland

Islamrat für die die Bundesrepublik

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

Kindernothilfe

Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess

Kulturbüro Sachsen

Lesben- und Schwulenverband in Deutschland

Mobile Beratungsteams gegen Rassismus und Rechtsextremismus

Münchner Flüchtlingsrat

National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland

Nationale Armutskonferenz

Nationaler Geistiger Rat der Baha'i

Netzwerk für Demokratie und Courage

Paritätischer Wohlstandsverband

Pflege in Not

Pro Asyl

Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter

REFUGIO München

RES publica

Sächsischer Flüchtlingsrat

Sozialverband VdK Deutschland

Terre des femmes

Verband Deutscher Sinti und Roma

Verband Binationaler Familien

Zentralrat der Muslime in Deutschland

E. Internationale Organisation:

Herr Gottfried Köfner, UNHCR-Regionalvertreter für Deutschland, Österreich und die Tschechische Republik

kk

A N H A N G II

Kommentare der deutschen Bundesregierung




Vorbemerkungen

Deutschland, das am 13. Juli 1950 dem Europarat beitrat, misst der Wahrung und dem Schutz der Menschenrechte größte Bedeutung bei und setzt sich hierfür international auf bilateraler Ebene ebenso ein wie im multilateralen Kontext. Die Förderung und Umsetzung der u.a. vom Europarat erarbeiteten internationalen Menschenrechtsstandards ist der Bundesregierung hierbei ein wesentliches Anliegen.

Deutschland sieht sich hierbei zunächst in der Pflicht, diese geforderten Standards innerstaatlich umzusetzen. Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gehört zu den universellen Werten, auf denen die deutsche Verfassung, das Grundgesetz, gegründet ist.

Die Arbeit des Menschenrechtskommissars ist ein unverzichtbarer Bestandteil des europäischen Menschenrechtsschutzsystems. Die Bundesregierung hat daher dem Besuch des Menschenrechtskommissars in Deutschland im Oktober 2006 große Bedeutung beigemessen.

Sie begrüßt die Erstellung seines sehr konstruktiven, hilfreichen Berichts zu Deutschland und bedankt sich für die Gelegenheit, zu einzelnen Passagen des Berichts Stellung nehmen zu können.

Der vom Menschenrechtskommissar vorgelegte Bericht leistet mit seinen Empfehlungen aus Sicht der Bundesregierung einen wichtigen Beitrag dazu, die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der Menschenrechtsschutzmechanismen in Deutschland nachhaltig zu prüfen und wo erforderlich weiter zu verbessern.

Die nachfolgenden Kommentare sollen den Bericht des Menschenrechtskommissars dort ergänzen oder kommentieren, wo aus Sicht der Bundesregierung weiterer Erläuterungsbedarf zusätzlich zu den Ausführungen des Menschenrechtskommissars besteht oder Sachverhalte in einen größeren innenpolitischen Gesamtkontext zu setzen sind.

Kommentare

Die Kommentare beziehen sich auf einzelne Passagen des Berichts des Menschenrechtskommissars und sind auf dessen Grundlage nach Abschnitten und Ziffern geordnet.

Kommentare und Stellungnahmen zu einzelnen Empfehlungen sind den jeweiligen Abschnitten zugeordnet, die durch Empfehlungen angesprochen werden.

Nationales System zum Schutz der Menschenrechte

(Bericht, Ziff. 7-52; Empfehlungen, Nr. 1-9)

Ziffern 37 und 38

Der Menschenrechtskommissar regt an, die Menschenrechtsbildung für Polizisten im Bereich der Weiterbildung noch zu verbessern. Diese müsse ein verpflichtender Teil der Weiter- und Fortbildung werden. Hierzu ist anzumerken, dass der thematische Aspekt der Menschenrechtserziehung – mangels konkreter Verpflichtung zum Besuch von Fortbildungen allgemein – zwar keinen verpflichtenden Charakter hat, doch zeigt die rege Frequentierung dieser Veranstaltungen in der Praxis, dass es der Einführung einer förmlichen Verpflichtung zum Besuch dieser Fortbildungsangebote nicht bedarf.

Der Menschenrechtskommissar fordert darüber hinaus, dass der Wert der Menschenrechte sich auch in der Organisations- und Leitungsstruktur der Polizei widerspiegeln müsse. Diesbezüglich ist zu betonen, dass in einem demokratischen Rechtsstaat eine an Grund- und Menschenrechten orientierte Organisations- und Leitungsstruktur der Polizei selbstverständlich ist. Die gewählte Formulierung könnte dahingehend missverstanden werden, dass in diesem Bereich Defizite ausgemacht wurden, obwohl keinerlei Defizite konkret benannt werden.

Verhinderung von Diskriminierung

(Bericht, Ziff. 53-78; Empfehlungen, Nr. 10-16)

Ziffer 64 sowie Empfehlung Nr. 13

Der Kommissar empfiehlt der Bundesregierung, die Verfahrensregeln für die Anwendung des Grundsatzes der gleichen Bezahlung mit gleichem Wert zwischen den unterschiedlichen Beschäftigungssektoren zu präzisieren, da die Sozialpartner an diese spezifischeren Regelungen gebunden wären.

Nach Auffassung der Bundesregierung ist davon auszugehen, dass der Grundsatz der Lohngleichheit im internationalen und deutschen Recht eindeutig verankert ist: Im internationalen Recht bestimmen Art. 141 EG-Vertrag sowie verschiedene europäische Richtlinien, im nationalen Recht das Grundgesetz Art. 3, Abs. 2 und 3 sowie § 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz den Rahmen. Daran sind alle Beteiligten, einzelne Arbeitgeber sowie die Sozialpartner, auch jetzt schon gebunden, und es ist dabei unerheblich, ob eine Lohndiskriminierung in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder in einem Einzelvertrag vorgenommen wurde und ob sie unmittelbar erfolgt oder mittelbar. Eine Präzisierung der Grundsätze der Arbeitsbewertung ist in zahlreichen Gerichtsurteilen des Europäischen Gerichtshofs und in Urteilen des Bundesarbeitsgerichts bereits erfolgt und bedarf keiner weiteren gesetzlichen Regelung: Die Arbeitsplatzbewertung und die Einstufungssysteme müssen nach der derzeitigen Rechtslage jeweils den darin entwickelten Kriterien genügen und können insoweit überprüft werden. Den Sozialpartnern darüber hinaus die Verwendung bestimmter Systeme vorzuschreiben, wäre nicht nur kontraproduktiv, sondern auch mit der Tarifautonomie nicht vereinbar. Sinnvoller als weitere gesetzliche Spezifizierungen ist es, durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit dafür zu sorgen, dass allen Beteiligten die Rechtslage bzw. ihre Rechte und Pflichten bekannt sind. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung schon 2002 einen entsprechenden Leitfaden herausgegeben, der zurzeit neu überarbeitet wird.

Ziffer 72

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der Bericht die zu beobachtende positive Entwicklung im System der Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe zugunsten der Beschäftigung Behinderter (anstelle der Leistung der Ausgleichsabgabe durch den Arbeitgeber) nicht angemessen berücksichtigt.

Die Zahl der beschäftigten schwer behinderten Menschen in Deutschland ist 2003 bis 2005 insgesamt um zwei Prozent gestiegen. Hierbei stieg die Zahl der beschäftigten Frauen sogar um fünf Prozent. 2005 waren damit insgesamt 920.000 schwer behinderte Menschen beschäftigt. Zudem ist die Zahl der beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber, die keinen einzigen schwer behinderten Menschen beschäftigen, seit 2001 um fast die Hälfte gesunken. Dies ist eine positive Entwicklung, die aus Sicht der Bundesregierung in diesem Zusammenhang hervorgehoben werden sollte.

Ziffern 72 bis 74

Die Bundesregierung weist ergänzend zu den Ausführungen des Kommissars zu den Beschäftigungsmöglichkeiten Behinderter in Deutschland auf die Initiative "job - Jobs ohne Barriere" hin, durch die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Information und Aufklärung über die rechtlichen Rahmenregelungen zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung behinderter Menschen und die Möglichkeiten, diese zieladäquat auf betrieblicher Ebene anzuwenden, bereits verstärkt. Die Initiative wird derzeit - in dem Bericht nach § 160 Abs. 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - evaluiert; sie wird unter Berücksichtigung der Evaluierung fortgesetzt.

Maßnahmen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

(Bericht, Ziff. 79-93; Empfehlungen, Nr. 17-22)

Ziffer 90

Die Erfassung politisch rechts motivierter Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund durch die Polizeidienststellen erfolgt nach einheitlichen Kriterien. Auf diese Weise bieten die Daten eine zuverlässige Grundlage für Analysen des Straftatenaufkommens und Prognosen zu dessen Entwicklung in diesem Bereich. Eine solch einheitliche Datenerfassung kann durch NGOs nicht gewährleistet werden.

Schutz nationaler Minderheiten

(Bericht, Ziff. 94-108; Empfehlungen, Nr. 23-26)

Ziffern 95 und 96 sowie Empfehlung Nr. 23

Bezüglich der Empfehlung des Kommissars, den Anwendungsbereich des Rahmenübereinkommens zum Schutz von nationalen Minderheiten in einer Weise vorzusehen, dass es keine unnötigen Unterscheidungen insbesondere zwischen Sinti und Roma mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit gibt, w