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Walter Keim, Netizen, Email: walter.keim@gmail.com
Almbergskleiva 64
NO-6657 Rindal, den 23.8.2013


Chefarzt Dr. med. Klaus Leipziger
Facharzt für Psychiatrie
Bezirkskrankenhaus Bayreuth
Nordring 2
D-95445 Bayreuth

Kopie: Prof. Dr. Hans-Ludwig Kröber, Prof. Dr. med. Friedemann Pfäfflin, jameda-Qualitätssicherung, Patientenbeauftragter, Landespressekoferenz, Bayerische Landesärztekammer (BLÄK), Betreuer RA Ralph Gebeßler, RA Hans-Joachim Kupke, RA Thomas Dolmány (alternativer Download für Gutachten)


Offener Brief: Zur Wahrheit, Wissenschaftlichkeit und Rechtsstaatlichkeit finden

Sehr geehrter Herr Leipziger,

ich beziehe mich auf Ihre Aussage "Pychiatrisch sei alles vollkommen korrekt gelaufen“ im Fall Mollath. Den Vorwurf, es habe nur Ferngutachten zu Mollath gegeben, müsse man „ins Reich der Legende verweisen“ (1, 2, 3).

Mit der Freilassung Mollaths am 6.8.2013 durch OLG Nürnberg hat die Justiz und Politik den langen Marsch zur Rechtsstaatlichkeit begonnen.

Ihr Gutachten vom 25.7.2005 ("paranoides Gedankensystem" bezüglich "Schwarzgeldverschiebung") ist die Grundlage des Fehlurteils vom 8.8.2006 und damit  der Auslöser des Mollath-Skandals. Deshalb ist auch für die Forensische Psychiatrie Wahrheit, Wissenschaftlichkeit und Rechtstaatlichkeit angesagt.

Wie haben Psychiatrie, Justiz, Politik und Presse diesen Fall behandelt und welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen?

Der Bonner Psychiatrie-Professor Dieckhöfer hat in seiner Analyse das Gutachten von Dr. Klaus Leipziger nach Aktenlage, das 2006 zur Zwangseinweisung Mollaths in die Psychiatrie geführt hatte, als „unwissenschaftlich“ bezeichnet. Gegenüber der tz meinte Dieckhöfer: „Dr. Leipziger hat die Schwarzgeld-Behauptung nicht recherchiert, sondern einfach als paranoides Gedankensystem abgetan. Auch das Gutachten von Prof. Friedemann Pfäfflin nimmt nicht belegte Annahmen als Basis seiner Diagnose. Ich habe noch nie solche absurden Gutachten gesehen!“ (4) Jedenfalls hat ein später bekannt gewordener interner Revisionsberichts der HypoVereinsbank im Hinblick auf die erhobenen Schwarzgeldvorwürfe festgestellt: "Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt." Fachärztin für Psychiatrie Petra Kutschke schreibt: "Ich durfte dieses einsehen und musste zu dem Resultat kommen, dass es unwissenschaftlich, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar ist." Wie soll durch Aktenstudium und Beobachtung in  sechswöchiger rechtswidriger Zwangsinternierung im Jahre 2005 ohne Exploration (Gespräch) Schuldunfähigkeit für 2001 festgestellt werden? Prof. Dr. Kröbers Verteidigung "daß es staatliche und juristische Entscheidungen sind, die Herrn Mollath dorthin gebracht haben, wo er jetzt ist" greift nicht, da das erste Gutachten die Grundlage des Urteils war. Sowohl Dr. Weinberger als auch Dr. Simmerl verneinen nach Exploration gemeingefährliche paranoiden Schizophrenie. Die Menschenrechtsbeauftragte Dr. med. Maria E. Fick regt am 29.10.2012 Wiederaufnahme an.

„Die Strafsache Mollath ist eine bisher von mir nie gesehene Ansammlung von vorsätzlichen Gesetzesverletzungen, gravierenden Verfahrensfehlern, gepaart mit schweren Verteidigungsfehlern und Versagen von kontrollierenden Instanzen. Hinzu kommt eine (...) geradezu unmenschlich erscheinende Ignoranz der jeweiligen Adressaten.“ (Prof. Dr. Henning Ernst Müller, Lehrstuhl für Strafrecht, Universität Regensburg, 23.02.2013). Im Interview mit Telepolis sagt die Anwältin von Gustl Mollath: "Mollath wurde in einem Maße, wie es kaum zu beschreiben ist, Unrecht zugefügt". Ein Justizversagen mit "Fehlern die zum Himmel schreien" (Süddeutsche Zeitung 31.5.2013) wurde am 17.7.2013 zur "Farce": "Aus gesetzlicher Vernunft wird richterlicher Unsinn." Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 371/12 attestierte am 1.7.2013 der Justiz und Psychiatrie wahnhaftes Bestreiten von Tatsachen und Realitätsverlust um eigene Fehler zu verleugnen: "Gemeingefährlich sind - diese Anmerkung sei erlaubt - eher Richter, welche wegen eigener Wahnvorstellungen im Hinblick auf eine angebliche Gemeingefährlichkeit unschuldige Bürger jahrelang ihrer Freiheit berauben durch Einweisung in die Forensische Psychiatrie und selbst dann nicht von ihrem Fehlverhalten Abstand nehmen, wenn alle Verdächtigungen sich als unhaltbar erweisen".

Dass Mollath das alles aushielt und nicht durchdrehte, ist Beweis für seine psychische Stärke. Davon konnten sich alle, die ihn in der Sitzung des Untersuchungsausschusses sehen konnten überzeugen. Er schnitt wesentlich besser ab als Merk.

Die dem CSU Justizministerium durch Anstellung, Beförderung und Dienstaufsicht unterworfenen Richter haben sich über das Gesetz und Verfassungsgericht gestellt, obwohl sie laut Grundgesetz dem Gesetz unterworfen sind. “Wir erliegen nicht dem Bild des Bundesverfassungsgerichtes, dass wirklich jeder Täter geläutert, wieder gut werden kann! Das ist gerade nicht die Realität." (Merks Regierungserklärung 17.10.2012). Auch vorher wurde das Verfassungsgericht und der EGMR von ihr kritisiert wegen zu milder Behandlung von schuldunfähigen Straftätern. Nun erklärt Merk, sie dürfe Bayerische Richter nicht kritisieren und weist Kritik an Justiz zurück. Wenn die Bayer. Justiz die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts bisher ignorierte, folgte sie damit den Wünschen von Justizministerin Merk. Merk weist zwar immer wieder darauf hin, dass sie Entscheidungen von Gerichten nicht zu kommentieren habe – machte sich aber Urteile zu Ungunsten Mollaths zu eigen.

Zwar hat die Süddeutsche Zeitung und Michael Kasperowitsch sehr gut informiert, aber obrigkeitshörige Teile der deutschen Presse ("LaLa Journalismus": Lakotta, Lapp) verteidigten sogar die unvernünftige Verweigerung der Wiederaufnahme durch das Landgericht Regensburg, d. h. Unfähigkeit Fehler zu korrigieren. Dagegen referiert die Neue Züricher Zeitung am 8.8.2013 die Frage, ob der "Staat mit den Banken unter einer Decke stecke" und einen Whistleblower weg gesperrt habe. Jedenfalls hat die von Mollath angezeigte Hypo-Vereinsbank in den USA der Zahlung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung zugestimmt.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die bisherige einmalige Beweiserhebung ohne neue Tatsachen in der Revision ein Verstoß gegen Artikel 2 Protokoll Nummer 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Deshalb ist eine zweite Tatsacheninstanz mit neuer Beweisführung einzuführen. Die maximale Unterbringungszeit gemäß § 63 StGB sollte begrenzt werden im Verhältnis zur Schwere der Anlasstat. Das Strafrecht sollte vom Ballast des 3. Reiches befreit werden ("Täterrecht") um zu den liberaleren Prinzipien des Kaiserreiches zurückzukehren ("Tatrecht"). Weiter sind Richterwahlausschüsse zu schaffen um die im Grundgesetz geforderte Unabhängigkeit auch in Bayern zu verwirklichen. Gerichte sollten Qualitätskontrolle bei den Experten praktizieren und neben der Zertifizierung auch auf wissenschaftlich Begründung vereidigen und Mindestanforderungen für Gutachten einzufordern. Artikel 104 des Grundgesetzes regelt, dass allein ein Richter über die Unterbringung in der forensischen Psychiatrie entscheiden darf. Deshalb müssen Richter lernen Gutachten aufgrund methodischer Standards kritisch zu beurteilen und unwissenschaftliche Gutachten abzulehnen. Die Aufsicht und Kontrolle der Forensik und von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen muss verbessert werden.

Um nach der Freilassung Mollaths am 6.8.2013 durch OLG Nürnberg den Mollath-Skandal nicht zur Schande für die Forensik werden zu lassen ist auch für die Forensische Psychiatrie der lange Marsch zur Wahrheit, Wissenschaftlichkeit und Rechtsstaatlichkeit angesagt.

Mit freundlichen Grüßen aus Norwegen

Walter Keim
Netizen: http://walter.keim.googlepages.com

Anlagen:

  1. “Nordbayerischer Kurier” vom 19.7.2013 (online), “Mollath: Jetzt spricht sein Gutachter” von Otto Lapp: http://www.nordbayerischer-kurier.de/nachrichten/mollath_jetzt_spricht_sein_gutacher_170680
  2. focus.de online (18.8.2014): Mollaths Gutachter: In Psychiatrie lief alles korrekt: http://www.focus.de/politik/deutschland/klinik-chef-erhaelt-morddrohungen-mollaths-gutachter-in-psychiatrie-lief-alles-korrekt_aid_1074884.html
  3. In FOCUS 34/2019 vom 19.8.2013 findet sich auf S. 53 das Leipziger-Interview 
  4. tz-online.de (22.08.2013): Wegen "Ehrabschneidung". Fall Mollath: Psychiatrie-Prof verklagt Merk http://www.tz-online.de/aktuelles/bayern/fall-mollath-psychiatrie-professor-verklagt-beate-merk-2966194.html
  5. Gutachten von Dr. med. Klaus Leipziger, Prof. Dr. Hans-Ludwig Kröber, Prof. Dr. med. Friedemann Pfäfflin: http://strate.net/de/dokumentation/index.html
  6. Fachliche Stellungnahmen von Petra Kutschke, Dr. Harald Rauchfuss, Dr. Arnold Torhorst, Dr. Maria Fick, Dr. Hans Simmerl, Dr. Rudolf Sponsel, Dr. Friedrich Weinberger und Prof. Dr. Dieckhöfer http://www.gustl-for-help.de/analysen.html
  7. 06.08.2013: Verfahren wird neu aufgerollt: Gustl Mollath kommt frei 
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